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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0029
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Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage

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heilbar untragbar empfindet, irreversibel für irrevisibel hält. Wenn der
Normwille des Volkes schwindet, weil seine Normüberzeugung von der
Richtigkeit und Gerechtigkeit der Grundordnung verloren ging,
schmilzt die Verfassung wie das Eis im Frühling dahin. Auch die Ver-
fassungsbeseitigung ist nur als normativer Akt zu verstehen. Sie stellt
nicht etwa einen unbegreiflichen Einbruch „des Faktischen“ in die Welt
der Normen dar. Verfassungsbeseitigung durch die Verfassunggebende
Gewalt des Volkes ist mit den bruta facta eines Staatsstreichs so wenig
gleichzusetzen wie der Wille eines freien Volkes mit dem eines Usur-
pators. Das ominöse Diktum Georg Jellineks von der „normativen Kraft
des Faktischen“" hat das Verhältnis von Recht und Macht, von Norm
und Normbewußtsein hinsichtlich der Revolution und der Verfassung-
gebung verhängnisvoll verdunkelt und verwirrt.
Die Möglichkeit der Verfassungsbeseitigung sollte für den Juristen
das Menetekel sein, den Normwillen und damit die Geltung der Ver-
fassung nicht zu zerreden. Die Zunft hat die gefährlichen Probleme ih-
rer Entlegitimierung und Beseitigung stiefmütterlich vernachlässigt -
wird doch die Situationsbezogenheit der Verfassunggebenden Gewalt
oft nicht hinreichend bedacht.
3. Zur Situationsbezogenheit der Verfassunggebenden Gewalt: Je
nachdem, ob sie sich im revolutionären Umbruch oder in einer poli-
tischen Normalsituation äußert, hat die Verfassunggebende Gewalt
diametral entgegengesetzte Ziele, Funktionen und Effekte:
a) In einer Revolution äußert sie sich spektakulär und singulär durch
dezisionistisch anmutende Akte der Verfassungsbeseitigung und neuen
Verfassunggebung. In der Revolution hat sie eine unverzichtbare und
demokratisch gerechtfertigte Kardinalfunktion. Welche andere Potenz
könnte einen Weg aus dem Zusammenbruch der konstituierten Gewal-
ten und Grundnormen eröffnen?
In der revolutionären Situation wirkt die Verfassunggebende Gewalt
als Kampf begriff gegen die bisher geltende Verfassung.
Als solcher wurde sie in der Französischen Revolution geschaffen und
seither in allen Revolutionen - 1848, 1917 und 1918, 1933 und wieder
1989 - eingesetzt34. Die Kampffront war früher vergleichsweise klar und
eindeutig, solange das Volk seine Verfassunggebende Gewalt gegen die
Monarchie einsetzte, wie es zuletzt im Sturz des Schah und des Negus
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., Berlin 1919, S. 338.
34 Die einseitige Ausrichtung des Begriffs der Verfassunggebenden Gewalt auf die Re-
volutions-Situation seit Sieyes hat die Verfassungstheorie allzu sehr in ihren Bann ge-
 
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