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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 1): Frühschriften 1520 - 1524 — Gütersloh, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.29138#0039
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DAS YM SELBS

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die biblischen Ansätze hinausgehenden Angelologie10 oder auch in seiner
intellektualistisch gefärbten Anthropologie11 und in der eudämonisti-
schen Beleuchtung, in der seine Rechtfertigungslehre gelegentlich
erscheinen kann12, worin sich je und dann auch humanistische Gedanken
widerspiegeln dürften.
Luthers Einfluß läßt sich natürlich noch stärker nachweisen, zumal in
10. Die patristische Theologie hat bekanntlich die vielerlei und verschiedenwertigen
Aussagen der Heiligen Schrift über die Engel aufgegriffen und zu einer umfassenden
Lehre zusammengefaßt. In der Auseinandersetzung mit den Priscillianisten wurde die
Lehre vom (schuldhaften) Fall des Teufels, der ursprünglich ein guter Engel gewesen
sei, in einer Konzilsentscheidung zum Glaubenssatz erhoben (Denzinger Nr. 237).
Die Angelologie erfuhr durch die Scholastik, zumal durch B.s Ordensbruder Thomas
von Aquin, den Doctor angelicus, ihre klassische Systematisierung. (Vgl. zur Frage
der Angelologie im einzelnen die ausgezeichneten theologiegeschichtlichen Lexikon-
Monographien im Dictionaire de theologie catholique 1,1, Sp. 1189-1271 und 4,1,
321-409.) - B. schließt sich im vorliegenden Traktat bei all seinen Äußerungen zur
Angelologie den geläufigen Väteranschauungen an. Bemerkenswert mag vielleicht sein,
daß B. wiederholt betont, daß ein proportionales Verhältnis vorliegt zwischen dem
tiefen Fall der Engel und der Erhabenheit ihrer Möglichkeiten, die sie schuldhaft
wider Gott gebraucht haben. Ein Gedanke, der ganz ähnlich in der Beurteilung des
geistlichen Standes und des Standes der weltlichen Obrigkeit wiederkehrt (S. 54,
Z. 11 ff. und S. 57, Z. 30 ff.).
11. Vgl. J. Müller: Martin Bucers Hermeneutik. Hdbg. Diss. 1952. S. m ff.
12. Der Eudämonismus ist in der thomistischen Scholastik durch die Verbindung
des Begriffes des Guten mit dem des Seins und der Behauptung gegeben, daß alle
Kreatur nach ihrer Erfüllung strebt (vgl. oben, Anm. 9). »Naturaliter homo appetit
ultimum finem, scilicet beatitudinem« (Sum. theol. 1,83,1). Wie weit B. in dieser
Frage gehen konnte, zeigt ein Abschnitt aus seinem Römerbrief-Kommentar (Bibl.
Nr. 55), wo er geradezu in augustinischer Formulierung von einem Genießen Gottes
reden kann und diesen seligen Zustand als die Wirkung der Wiederherstellung des
ursprünglichen Gottesverhältnisses schildert: »Videtur itaque Apostolus in ista de
Deo gloriatione per Dominum nostrum Jesum Christum significare magnificam illam
divinae bonitatis perfruitionem, quae etiam in hoc tempore sanctis conceditur, ut
sensus sit. Non solum hoc nobis per Christum contigit, ut reconciliati Deo olim
servemur, ac restituamur per omnia: verum sic ampliter se nobis praebet Deus in
Domino Jesu degustandum, ut ... non possimus non effuse gloriari ... per ipsum
etiam ipse nobis contigit tantus divinitatis gustus« (zu Röm 5,11, S. 248a). Im vor-
liegenden Traktat wird der eudämonistische Zug in zwei Linien sichtbar: einmal,
wenn B. die Rechtfertigung als den Zustand beschreibt, in dem der Gläubige für Zeit
und Ewigkeit volles Genüge findet (S. 61, Z. 38-40; S. 62 , Z 15 f.), zum andern, wenn
das Leben des Gläubigen als ein Wohlverhalten im Sinne des bene et beate vivere
charakterisiert wird (S. 51, Z. 5 f.; S. 64, Z. 35). - Ein gerade im Blick auf »Das
ym selbs ...« instruktives Beispiel, wie B. die als Wiederherstellung der göttlichen
Ebenbildlichkeit gesehene Erlösung mit der Glückseligkeit einerseits und mit dem
göttlichen Liebeswillen andererseits verknüpft, findet sich gleichfalls im Römerbrief-
Kommentar: »... Hominem depravatum, ut, nisi divina ope, restitui non queat; eius
vero restitutionem atque felicitatem omnem in eo consistere, ut naturae, hoc est
Dei de se voluntate, consentanee et congruenter vivat eiusque imaginem hoc pacto
recuperet; sic vivens, ut sit omnibus bono, nemini malo bonique consulat quicquid
evenerit ...« (Praef., S. 32).
 
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