Metadaten

Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 1): Frühschriften 1520 - 1524 — Gütersloh, 1960

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29138#0038
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

MARTIN BUCERS FRÜHSCHRIFTEN

an der Heiligen Schrift orientierte Umformung des öffentlichen Lebens,
in dem nach Bucers Konzeption Obrigkeit und Kirche Zusammen-
arbeiten und mit Liebe, aber auch mit Zucht die »Schäflin Christi«
nach göttlicher Ordnung weiden sollten8. Es ist ergreifend, wie Bucer
an der Idee der »societas christiana« festgehalten hat und wie er dieses
Programm, wo immer man seine Mitarbeit bei der Neuorganisation
eines Kirchenwesens in Anspruch nahm, in die Tat umzusetzen suchte
und ihm schließlich in seiner letzten großen Schrift als in einer um-
fassenden Sozialethik eine bleibende Gestalt gab.
Es ist Bucers Wesenseigentümlichkeit, daß er auch bei seinen Gegnern
das Gute anerkennen konnte und daß er die geistige Kraft besaß, dies
dann auch in seiner eigenen Theologie mitzuverarbeiten. Dadurch ge-
winnt seine Theologie ein so vielgestaltiges, oft gar schillerndes Aus-
sehen und macht es so schwer, seine Eigenart zu erfassen, weil er sich
nicht mit den einfachen Schlagworten zufrieden gibt, mit denen er
heutzutage gerne, freilich unzutreffenderweise, klassifiziert wird, son-
dern das religiöse Leben in seiner lebendigen und komplexen Bewegt-
heit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu erfassen
sucht.
Auch in »Das ym selbs ...« verleugnet er nicht den thomistisch ge-
schulten und humanistisch gebildeten Theologen: Wenn er die Güte
Gottes9 zum höchsten Prinzip erhebt, von dem aus sich ihm der Grund
und der Sinn der Schöpfung erschließt, so steht er damit nicht weniger
in der großen theologischen Tradition der Scholastik als in seiner über

8. Werner Bellardi: Die Geschichte der »Christlichen Gemeinschaft« in Straßburg
(1546/50). QFRG Bd. 18,1934.
9. Es mag sich hier die intime Bekanntschaft des ehemaligen Dominikaners mit
der thomistischen Theologie zeigen, die sich gerade in diesem Fragenkomplex nicht
zuletzt in den von Augustin auf genommenen und geprägten philosophischen Gedanken
der Antike bewegt. Es gilt: »summum bonum est causa omnis entis« (1,6,2), denn
»primum bonorum principium est summum et perfectum bonum, quod praehabet in
se omnem bonitatem« (1,6,2). Man könnte auch sagen, Gott als die »causa efficiens,
exemplaris et finalis omnium rerum« (1,44,4) ist ganz unter dem Gesichtspunkt seiner
das Sein schaffenden Güte gesehen. Er allein ist das wesenhaft Gute; und wenn eine
Kreatur gut genannt werden kann, dann nur kraft ihrer Teilhabe an der Güte Gottes
(1.6.4) . Diese ist für Thomas wie der Ursprung der Schöpfung so auch ihr Ziel:
»Unaquaque creatura intendit consequi suam perfectionem, quae est similitudo
perfectionis et bonitatis divinae. Sic ergo divina bonitas est finis omnium rerum«
(1.44.4) . - Es geht hier nicht darum die thomistische Schöpfungslehre unter dem
Gesichtspunkt der Güte Gottes darzustellen, sondern die als Beispiele ausgewählten
Thomaszitate sollen einen Eindruck davon geben, wie B. im Zuge der thomistischen
Gedanken steht. Auch den neuplatonischen Gedanken »bonum est diffusivum sui«,
der in anderer Nuancierung allenthalben in »Das ym selbs ...« begegnet (bes. S. 61.
Z. 29; S. 62, Z. 26-29; S. 65, Z. 21-23 > S. 66, Z. 21 f.; S. 67, Z. 3.), könnte B. in der
Summe des Thomas als ein Dionys-Zitat kennengelernt haben (1,5,4).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften