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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0126
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9. EHESCHEIDUNG IM FALLE VON GEISTESKRANKHEIT

stürzen [13.]. Zunächst sollten Ärzte über die Wahrscheinlichkeit einer Genesung
befragt werden [14.].
Wer aufgrund einer Krankheit zur Ehe untauglich und vom Ehepartner geschie-
den werde, trage keme Schuld an der Trennung. Deshalb solle die Obrigkeit dafür
sorgen, daß der kranke Ehepartner von dem gesunden weiterhin in ausreichendem
Maße finanziell versorgt werde [15.].
Zwar sehe das römische Recht auch die Möglichkeit vor, die Ehe mit einer geistes-
kranken Frau fortzusetzen, hier handele es sich aber ausdrücklich um Fälle, bei de-
nen die sexuelle Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern nicht beeinträchtigt sei
[16.].
Bucer zieht Bilanz: Derjemge, dessen Frau einer Geisteskrankheit unheilbar zum
Opfer fällt, darf aufgrund von Gen 2,18 und I Kor 7,2 erneut heiraten. Gott selbst
hat den Mann von seiner Frau geschieden, kaum anders, als wäre sie gestorben. Erst
recht aufgrund der mcht mehr vorhandenen Möglichkeit der sexuellen Gemein-
schaft ist dem Mann eine erneute Fleirat zu erlauben [17.].

3. Wirkung
Mit Bucers Gutachten war für den Ulmer Rat noch keine befriedigende und ab-
schließende Antwort auf den Fall Schnitzer gefunden worden. Bei den Schweinfur-
ter Rehgionsverhandlungen zwischen protestantischen Ständen und altgläubigen
Pohtikern im April 1532 überreichten die Ulmer Gesandten Bernhard Besserer und
Hieronymus Schleicher den Straßburger Vertretern Jakob Sturm, Jakob Meyer und
Martm Bucer erneut eine Anfrage zu diesem Fall9. Auch die in Schweinfurt anwe-
senden Nürnberger Vertreter Bernhard Baumgartner und Leonhard Schürstab wur-
den von den Ulmern gebeten, eine Anfrage in der Ehesache Schnitzer an den Nürn-
berger Rat weiterzuleiten.10
Die Unbesorgtheit und das Selbstbewußtsein, mit denen Bucer in diesem Gutach-
ten die Scheidung und Wiederheirat Peter Schnitzers genehmigt, kontrastiert mit
der Vorsicht, mit der die Nürnberger Prediger die Anfrage beantworteten.11 Am 13.
Apnl 1532 kamen die Nürnberger Theologen zu dem Beschluß, »das weder diesem
Schnitzer noch yemanden andern vermoge des wort Gottes gezime, bei leben seines
eegemals noch ein weib zu nemen, aus ursachen, das sant Pauls I. Corinth. 7^39]
sagt: Das weib ist verpunden unders gesetz, weil [= solange] der man leb, und wider-
umb auch der man, und dorf bei leben des andern keins heyradten. So sag die

9. Bei dieser Gelegenheit baten sie Bucer auch darum, ein umfassendes Gutachten zu Ehe und
Ehescheidung für die Stadt Ulm zu verfassen. Diese Schrift (m diesem Band Nr. 12, S. 175-404)
vollendete Bucer am 26. November 1533.
10. Vgl. AOG 4, S.409.
11. Dahinter witterten sie eine Falle: »Es sei auch zu vermuten, der von Ulme prediger mochten
diese frag und radtschlag darumb here schieben, ettwas von den hieigen theologen zu locken und
herauszupringen, darob sie zu cavillirn [= tadeln, schmähen] und die meuler mit me zu wasschen
hetten.« AOG 4, S.412,1-3.
 
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