Metadaten

Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0125
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9- OB EINEM, DEM SEIN WEIB

I 21

abgeschlossenen, umfassenden Eheschrift6 für die Reichsstadt Ulm hervor. Zu Be-
ginn der Schrift wird »ein radtschlag vff den sonderen handel, herrürend von der
sinlosen frawen« erwähnt, den Bucer auf Bitte des Ulmer Rates »vor dieser zeyt« er-
stellt habe.7 Bucer bekennt sich ausdrücklich zu der damals geäußerten Meinung
und gibt an, keme Stelle zu wissen, an der er sie ändern müßte. Die geschlechtliche
Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern sei ein derart wichtiger Bestandted der
Ehe, daß, wenn sie mcht mehr gewährleistet sei, göttliches, römisches und päpstli-
ches Recht die Scheidung vorschneben, »wie wir das inn gedachtem Rathschlag im
x. vnnd xj. Artickel erwisen habenn.«8 Diese Angaben decken sich völlig mit dem
Inhalt des zehnten und elften Artikels des hier edierten Gutachtens.
Außerdem sind die mhaltlichen und sprachlichen Anklänge und Übereinstim-
mungen zwischen diesem und dem umfassenden Ulmer Ehegutachten so zahlreich,
daß die Autorschaft Bucers außer Frage steht.

2. Inhalt
Das Gutachten ist thesenartig aufgebaut. Die ersten elf Punkte enthalten allgemeine
Aussagen über die Ehe aus der Heiligen Schrift, dem römischen und dem kanom-
schen Recht; die restlichen sechs Abschnitte ziehen die entsprechenden praktischen
Konsequenzen aus diesen Aussagen für den Ehefall Schnitzer.
Grundlage der Ausführungen Bucers ist die Auffassung der Ehe als Vertrag.
Dieser Vertrag bindet nur, solange die Bedingungen einer Ehe erfüllt werden [i.].
Nach göttlichem und römischem Recht sei die Ehe eine inmge Gememschaft zwi-
schen Mann und Frau, die alle Bereiche des Lebens umfasse und gegenseitige
Treue und Hilfe miteinschließe [2.-5.]. Wenn ein Ehepartner die eine Ehe ausma-
chenden Hilfeleistungen und Dienste nicht mehr vollbringen wolle oder könne,
sei der andere Ehepartner frei, eine neue Ehe einzugehen. Bucer sieht das im römi-
schen Vertragsrecht [6. und 9.], aber auch in Aussagen des Paulus [7.] sowie Christi
selbst [8.] begründet. Speziell die Unfähigkeit, den ehelichen Beischlaf zu vollzie-
hen, unterlaufe den von Gott bestimmten Zweck der Ehe [10.]. Deshalb erlaubten
zu Recht das römische und das kanonische Recht die Ehescheidung bei Impotenz
[n-J-
Wenn kaiserliches und kanonisches Recht schon beim dauerhaften Ausbleiben
der Möglichkeit zum ehelichen Beischlaf die Ehescheidung erlaubten, dürfe um so
mehr die Trennung von einer Frau, die seit Jahren geisteskrank und an Ketten ge-
bunden sei, erlaubt werden, da sie nicht nur zur sexuellen Gememschaft, sondern zu
jeglicher ehelichen Hilfe- und Dienstleistung unfähig sei [12.]. Gewiß, solange
Hoffnung auf Besserung vorhanden sei, dtirfe man eine Ehescheidung mcht über-

6. In diesem Band Nr. 12, S. 175-404.
7. Vgl. unten S. 176,1-4.
8. Vgl. unten S. 176,17b
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften