Fragment einer Grabinschrift aus der ehemaligen Propstei Wiesenbach, zeigt eine reine Kapitalis der
Karolingerzeit mit eckigen und runden Formen des C und dem typischen schrägen Querbalken des N,
der die Spitzen der äußeren Hasten nicht erreicht30). Während der Wechsel von eckigem und rundem C
noch bis ins 11. Jahrhundert hinein dauert, ist die eigenartige Form des N, die im 7. und 8. Jahrhundert
häufiger in Handschriften und auch m Inschriften vorkommt, nur noch für das 9. Jahrhundert, vorwiegend
für dessen erste Hälfte, nachzuweisen. Bis zum Ende des Jahrhunderts verschwindet sie aus der Buch- wie
aus der Monumentalschrift ganz31).
In der zweiten Inschrift dieses Zeitraums, die sich durch die Nennung von Personennamen auf etwa
50 Jahre genau eingrenzen läßt, ist bereits das zögernde Eindringen unzialer Formen in die Kapitalschrift
zu beobachten (nr. la). Neben die kapitale Form des E tritt das runde E, bleibt allerdings gegenüber der
bisher allein verwendeten eckigen Form weitaus in der Minderzahl (etwa 2:1). Ansätze zur Sporenbildung
sind bei dieser Schrift trotz der Verwitterung noch deutlich sichtbar, Kürzungen und Ligaturen sind selten.
Im Wort recolentes ist die dreifache Ligatur nur daraus zu erklären, daß der Steinmetz den verfügbaren
Raum offenbar falsch einschätzte, obwohl er die Buchstaben ohnehin bereits enger zusammendrängte als
in anderen Zeilen32). In den Schriftformen ist etwa die Mainzer Grabschrift des Propstes Wignandus zum
Vergleich heranzuziehen, die allerdings wesentlich mehr Ligaturen und Enklaven aufweist als der hier
besprochene Stein aus dem Stephanskloster33).
Gotische Majuskel
Die gotische Majuskel ist seit dem Ende des 13.Jahrhunderts (1288) mit zahlreichen Grabinschriften,
einer Bauinschrift, einer hervorragend ausgeführten Stiftungsinschrift und zwei Glockeninschriften ver-
treten. Ihre zeitliche Ausdehnung erstreckt sich bis ins letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts. Die Aus-
führung eines Grabsteins im Jahre 1451 in gotischer Majuskel dürfte als Sonderfall zu betrachten sein:
zu dieser Zeit hatte sich im allgemeinen die gotische Minuskel völlig durchgesetzt, so daß vermutet werden
kann, daß der Steinmetz sich einen älteren Stein zum Vorbild nahm und die herrschende Schriftart bewußt
mißachtete34). Solche Ausnahmen scheinen jedoch häufiger der Fall gewesen zu sein, denn aus räumlicher
Nähe des Bearbeitungsgebietes ließen sich - ohne systematische Suche - noch zwei weitere Beispiele
finden: in Weinheim wurde 1459 ein Grabstein in gotischer Majuskel ausgeführt, in Ladenburg sogar
noch im Jahre 1502 35). Die Schriftform der gotischen Majuskel entspricht der bisher allgemein beobachte-
ten Entwicklung: die breite Form der frühen Zeit überwiegt eindeutig (Verhältnis von Höhe und Breite
der Buchstaben etwa 1:1), nur zwei Steine und eine Glocke zeigen die schmale Form der Spätzeit, in der
das Verhältnis von Höhe und Breite der Buchstaben sich völlig verschoben hat (etwa 2:1); Ligaturen
und übergeschriebene Buchstaben sind bei dieser Form weitaus häufiger als in der Zeit vor der Jahr-
hundertmitte36). Alle Schriften sind eingehauen, erhabene Schriften - im Bearbeitungsgebiet offenbar
überhaupt spärlich vertreten - gibt es in dieser Schriftperiode nicht. Die gotischen Majuskelschriften sind
bis auf wenige Ausnahmen gut datiert; undatierte Schriften und Fragmente lassen sich in einigen Fällen
durch einen Vergleich mit datierten Schriften mit einiger Sicherheit zeitlich einordnen37). Schwierigkeiten
bereitet die undatierte Grabinschrift für Johannis de Hallis (nr. 20); die sehr knappe Sterbcformel hat
sonst keine Parallele, selbst auf dem Grabstein der Lobenfelder Äbtissin Agnes (nr. 24) sind noch Stand
und Segensformel vermerkt38). Die Buchstabenformen sind bis auf das H kapital; ganz abweichende
30) Vgl. nr. 1 mit Abb. 1.
31) Zum Vergleich auch Bauer, Epigraphik S. i8f.; Conrad 9; vgl. ferner den Inschriftstein aus Unterregenbach
(9. Jh.) mit einer zwar erheblich gewandter gehauenen Kapitalis, deren einzelne Buchstaben jedoch weitgehende
Ähnlichkeit zeigen. H. Christ, Die Pfarrkirche von Unterregenbach, in: Württembergisch-Franken 26/27 (1951/52)
2I7ff.
32) Vgl. Abb. 2 a.
33) DI. II (Mainz) nr. 655; vgl. auch Conrad 28 f.
34) Vgl. nr. 100 mit Abb.; die Ausführung der Schrift ist um so bemerkenswerter, als 1464 der Grabstein des
Ehegatten in gotischer Minuskel ausgeführt wurde, s. nr. 108.
35) KdmBaden X (Mannheim Land) 397; ebd. 170 mit Abb. 98 (Grabstein Elisabeth Mond).
Über einen Grabstein mit gotischer Majuskel 145*5/57 aus der St. Martinskirche in Colmar: P. Schmitt, Katalog
des Unterlinden-Museums zu Colmar (1964) S. 27E
36) Die Schönauer Glocke von 1357 (jetzt Erbach) zeigt besonders zahlreiche Kürzungen und hochgestellte
Buchstaben: nr. 49 mit Abb.
37) Das gilt etwa für nr. 15 und nr. 17, beide aus Schönau; auch nr. 10 und nr. 27 dürften einander vergleichbar
sein.
38) Lediglich aus Sterbeformel und Namen bestehende Inschriften zitiert Znnmerl, Grabinschriften 189 und 213
(1235 und 1272).
XIX
Karolingerzeit mit eckigen und runden Formen des C und dem typischen schrägen Querbalken des N,
der die Spitzen der äußeren Hasten nicht erreicht30). Während der Wechsel von eckigem und rundem C
noch bis ins 11. Jahrhundert hinein dauert, ist die eigenartige Form des N, die im 7. und 8. Jahrhundert
häufiger in Handschriften und auch m Inschriften vorkommt, nur noch für das 9. Jahrhundert, vorwiegend
für dessen erste Hälfte, nachzuweisen. Bis zum Ende des Jahrhunderts verschwindet sie aus der Buch- wie
aus der Monumentalschrift ganz31).
In der zweiten Inschrift dieses Zeitraums, die sich durch die Nennung von Personennamen auf etwa
50 Jahre genau eingrenzen läßt, ist bereits das zögernde Eindringen unzialer Formen in die Kapitalschrift
zu beobachten (nr. la). Neben die kapitale Form des E tritt das runde E, bleibt allerdings gegenüber der
bisher allein verwendeten eckigen Form weitaus in der Minderzahl (etwa 2:1). Ansätze zur Sporenbildung
sind bei dieser Schrift trotz der Verwitterung noch deutlich sichtbar, Kürzungen und Ligaturen sind selten.
Im Wort recolentes ist die dreifache Ligatur nur daraus zu erklären, daß der Steinmetz den verfügbaren
Raum offenbar falsch einschätzte, obwohl er die Buchstaben ohnehin bereits enger zusammendrängte als
in anderen Zeilen32). In den Schriftformen ist etwa die Mainzer Grabschrift des Propstes Wignandus zum
Vergleich heranzuziehen, die allerdings wesentlich mehr Ligaturen und Enklaven aufweist als der hier
besprochene Stein aus dem Stephanskloster33).
Gotische Majuskel
Die gotische Majuskel ist seit dem Ende des 13.Jahrhunderts (1288) mit zahlreichen Grabinschriften,
einer Bauinschrift, einer hervorragend ausgeführten Stiftungsinschrift und zwei Glockeninschriften ver-
treten. Ihre zeitliche Ausdehnung erstreckt sich bis ins letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts. Die Aus-
führung eines Grabsteins im Jahre 1451 in gotischer Majuskel dürfte als Sonderfall zu betrachten sein:
zu dieser Zeit hatte sich im allgemeinen die gotische Minuskel völlig durchgesetzt, so daß vermutet werden
kann, daß der Steinmetz sich einen älteren Stein zum Vorbild nahm und die herrschende Schriftart bewußt
mißachtete34). Solche Ausnahmen scheinen jedoch häufiger der Fall gewesen zu sein, denn aus räumlicher
Nähe des Bearbeitungsgebietes ließen sich - ohne systematische Suche - noch zwei weitere Beispiele
finden: in Weinheim wurde 1459 ein Grabstein in gotischer Majuskel ausgeführt, in Ladenburg sogar
noch im Jahre 1502 35). Die Schriftform der gotischen Majuskel entspricht der bisher allgemein beobachte-
ten Entwicklung: die breite Form der frühen Zeit überwiegt eindeutig (Verhältnis von Höhe und Breite
der Buchstaben etwa 1:1), nur zwei Steine und eine Glocke zeigen die schmale Form der Spätzeit, in der
das Verhältnis von Höhe und Breite der Buchstaben sich völlig verschoben hat (etwa 2:1); Ligaturen
und übergeschriebene Buchstaben sind bei dieser Form weitaus häufiger als in der Zeit vor der Jahr-
hundertmitte36). Alle Schriften sind eingehauen, erhabene Schriften - im Bearbeitungsgebiet offenbar
überhaupt spärlich vertreten - gibt es in dieser Schriftperiode nicht. Die gotischen Majuskelschriften sind
bis auf wenige Ausnahmen gut datiert; undatierte Schriften und Fragmente lassen sich in einigen Fällen
durch einen Vergleich mit datierten Schriften mit einiger Sicherheit zeitlich einordnen37). Schwierigkeiten
bereitet die undatierte Grabinschrift für Johannis de Hallis (nr. 20); die sehr knappe Sterbcformel hat
sonst keine Parallele, selbst auf dem Grabstein der Lobenfelder Äbtissin Agnes (nr. 24) sind noch Stand
und Segensformel vermerkt38). Die Buchstabenformen sind bis auf das H kapital; ganz abweichende
30) Vgl. nr. 1 mit Abb. 1.
31) Zum Vergleich auch Bauer, Epigraphik S. i8f.; Conrad 9; vgl. ferner den Inschriftstein aus Unterregenbach
(9. Jh.) mit einer zwar erheblich gewandter gehauenen Kapitalis, deren einzelne Buchstaben jedoch weitgehende
Ähnlichkeit zeigen. H. Christ, Die Pfarrkirche von Unterregenbach, in: Württembergisch-Franken 26/27 (1951/52)
2I7ff.
32) Vgl. Abb. 2 a.
33) DI. II (Mainz) nr. 655; vgl. auch Conrad 28 f.
34) Vgl. nr. 100 mit Abb.; die Ausführung der Schrift ist um so bemerkenswerter, als 1464 der Grabstein des
Ehegatten in gotischer Minuskel ausgeführt wurde, s. nr. 108.
35) KdmBaden X (Mannheim Land) 397; ebd. 170 mit Abb. 98 (Grabstein Elisabeth Mond).
Über einen Grabstein mit gotischer Majuskel 145*5/57 aus der St. Martinskirche in Colmar: P. Schmitt, Katalog
des Unterlinden-Museums zu Colmar (1964) S. 27E
36) Die Schönauer Glocke von 1357 (jetzt Erbach) zeigt besonders zahlreiche Kürzungen und hochgestellte
Buchstaben: nr. 49 mit Abb.
37) Das gilt etwa für nr. 15 und nr. 17, beide aus Schönau; auch nr. 10 und nr. 27 dürften einander vergleichbar
sein.
38) Lediglich aus Sterbeformel und Namen bestehende Inschriften zitiert Znnmerl, Grabinschriften 189 und 213
(1235 und 1272).
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