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Neumüllers-Klauser, Renate [Bearb.]; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 12 : Heidelberger Reihe ; Band 4): Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg — Stuttgart: Druckenmueller, 1970

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https://doi.org/10.11588/diglit.52965#0027
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tüchtiger der Handwerker oder Künstler war, den er bezahlen konnte!), desto vollendeter ist auch die
Schrift des von ihm in Auftrag gegebenen Denkmals, desto sorgfältiger und „klassischer“ ist die Kapitalis
gemeißelt. Es ist leicht denkbar, daß man in Heidelberg auch durchaus die Möglichkeit hatte, unmittelbar
auf Schriftvorlagen zurückzugreifen, wenn die Ausführung eines Denkmals zur Debatte stand. Die starken
Einflüsse des Humanismus an der Universität wirkten auf diese Weise bis in die Monumentalschrift hinein.
Dazu stimmt, daß die Kapitalis im Bearbeitungsgebiet weitaus vor anderen Schriften bevorzugt wurde;
die Fraktur blieb ihr gegenüber stets in untergeordneter Rolle. In anderen Gebieten läßt sich genau die
umgekehrte Beobachtung machen: in Rothenburg o.T. etwa bleibt die Kapitalis in der Minderheit, ihre
Rolle ist beschränkt auf „offizielle Inschriften, während die große Masse der Denkmäler in Fraktur
ausgeführt wurde44).
Gotische Minuskel
Im Jahr 1379 findet sich auf einem Lobenfelder Grabstein (Fragment) die erste Inschrift in gotischer
Minuskel, die sich innerhalb von zwei Jahrzehnten gegenüber der gotischen Majuskel allgemein durch-
setzte45). Sie ist die erste Minuskelschrift, die von der Buchschrift her in den epigraphischen Bereich über-
nommen wurde, der bisher ausschließlich der Majuskel vorbehalten war. Neben der später auftretenden
Kapitalis hält sich die gotische Minuskel bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts; noch 1542 und 1546 finden
sich 111 der Stadt Heidelberg Steine, die in gotischer Minuskel beschriftet sind; in ländlichen Gegenden
hält man auch über die Mitte des Jahrhunderts hinaus an ihr fest. Diese zeitliche Begrenzung entspricht
im Bearbeitungsgebiet den bisherigen Beobachtungen. Lediglich in Mainz setzt die gotische Minuskel
schon im dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts ein46). Die Minuskel der epigraphischen Denkmäler wurde
in festen Formen aus der Buchschrift (Textura) übernommen. Mit ihr hat sie in ihrer vollendeten Aus-
bildung den „gitterartigen“ Charakter der Schrift gemeinsam, der sie mitunter trotz guten Erhaltungs-
zustandes sehr schwer leserlich werden läßt. Die Buchstaben sind meist schmal und langgestreckt, dabei
in ihre einzelnen Elemente weitgehend aufgelöst, so daß die Schäfte fast unzusammenhängend neben-
einanderstehen. Beispiele für die Minuskel dieses ersten Zeitraums bilden etwa die Grabsteine des Dietrich
von Bettendorff (nr. 78) und des Mönch von Rosenberg (nr. 80), beide im ersten Drittel des 15. Jahrhun-
derts entstanden; für beide ist vielleicht auch eine gemeinsame Werkstatt in Betracht zu ziehen. Versahen
treten in dieser Zeitspanne kaum auf. Um 1430 beginnt dann bereits die strenge Form der gotischen
Minuskel in der Steinschrift sich aufzulockern; zunächst werden Versalien aus dem Alphabet der gotischen
Majuskel übernommen - vor allem A, M und W, aber auch D, E, N und S - und ohne erkennbare feste
Regel (vorwiegend offenbar am Textbeginn und in Eigennamen) verwendet, mitunter auch ausgestaltet.
Allein dadurch ist bereits eine größere Bewegtheit des Schriftbildes bedingt, wie es etwa bei den Grab-
steinen der Agnes Ulncr von Dieburg und des Ulrich von Bettendorfl (1451 und 1452) im Vergleich zu
den vorher genannten Grabsteinen aus dem Beginn des Jahrhunderts deutlich wird (nr. 99, 101). Um die
Wende des 15. zum 16. Jahrhunderts wird dann auch in den Gemeinen der gotischen Minuskel eine Ent-
wicklung und Veränderung sichtbar, die den starren Charakter der Schrift mehr und mehr auflöst. Im
Jahr 1515 treten bei einer Schrift, die sonst durchaus den zeitgemäßen Charakter einer Textura trägt,
plötzlich Spaltungen der Oberlängen bei den Buchstaben b, h, k und l auf (nr. 208 a)47). Versalien der
Fraktur finden sich zuerst 1507 auf einer Bronzetafel - der einzigen erhaltenen des Bearbeitungsraumes
seit 1520 häufiger auch in Steininschriften48). Neben das bisher allein gebräuchliche Schulter-r (gerade r)
tritt das sogenannte Ligatur-r (rundes r) 49). Eine sehr weitgehende „Auflösung der Minuskel ist deutlich
an einem Heidelberger Grabstein aus dem Jahre 1546 zu beobachten (nr. 249): der Gesamtcharakter der
Schrift bleibt zwar noch der einer gotischen Minuskel, aber die Großbuchstaben der Fraktur und die ge-
spaltenen Oberlängen der Buchstaben b, h, k und / lassen die Schrift außerordentlich bewegt erscheinen;
einzelne lange 5 zeigen bereits Unterlängen (mit Spaltung) und rücken die Schrift in die Nähe der Fraktur.
44) D. Lutz, Die Inschriften von Rothenburg ob der Tauber bis 1650. Phil. Diss. (ungedr.) Würzburg 1968, S. 46.
45) Lobenfelder Fragment nr. 57. - 1393 folgt eine Minuskelinschrift in Gauangelloch (nr. 60), 1394 in Schönau
(nr. 62).
46) DI. II (Mainz) nr. 33 und 37.
47) Spaltung der Oberlängen in den Gemeinen der Textura kommt auch bei einem Dürer’schen Alphabet vor:
in der „Unterweisung der Messung“ zeigen die Minuskeln bei b, h, k und 1 diese Erscheinung; vgl. E. Crous, Dürer
und die Schrift, Berlin 1933, M lij (Abb.). - Vgl. auch Zahn, Epigraphik 15. - Bei der epigraphischen Textura der
vorliegenden Grabplatte ist allerdings die plötzliche Aufspaltung um so bemerkenswerter, als die Gemeinen sehr
strengen Textura-Charakter tragen.
48) Die Bronzetafel des Johannes Odenwalt nr. 188; wenig später entstand die Bauinschrift in Nußloch nr. 215 ,
bemerkenswert ist auch das Eindringen von Fraktur-Elementen auf einem Grabstein von 1542 (nr- 238), wo dreimal
eine Fraktur-Versähe (A) wahllos am Wortanfang (auch, agaten, an) gesetzt ist.
49) Zuerst 1536 auf einem Grabstein in Rotenberg (nr. 229), 1540 in Heidelberg (nr. 235).

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