Die Fraktur
Die Fraktur - im Katalogteil der Inschrifteneditionen zur spezifischen Unterscheidung stets als „In-
schriften-Fraktur“ bezeichnet - wurde in der Mitte des 16. Jahrhunderts für die Inschriften der Steindenk-
mäler übernommen; als Minuskelschrift löste sie die gotische Minuskel ab, nachdem sie bereits im Buch-
druck zur herrschenden Gebrauchsschrift geworden war. Vorzugsweise wurde sie die Schrift der deutsch-
sprachigen Texte; aus dem Übergewicht lateinischer Texte im hier vorgelegten Band erklärt sich auch,
daß sie im Bearbeitungsgebiet gegenüber der Kapitahs weit zurücktritt. Von der gotischen Minuskel unter-
scheidet sich die Fraktur vor allem durch die unter die Zeile herabgezogenen Unterlängen von/und lan-
gem s, durch das sogenannte einstöckige a und die mandelförmige Bildung des o. Die erste reine Fraktur
in sehr sorgfältiger und schöner Ausführung zeigt em Heidelberger Grabstein des Jahres 1552 (nr. 265),
weitere Beispiele stammen dann aus den Jahren 1557 (nr. 287), 1558 (nrr. 290, 292) und 1567 (nr. 309). Von
besonderer Bedeutung sind die Frakturinschriften am Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses (1558;
nrr. 290, 292); in ihrer Formgebung sind sie eng verwandt mit dem Fraktur-Alphabet des Gebetbuchs
Kaiser Maximilians, das 1512/13 von Schönsperger in Augsburg gedruckt wurde. Bei den vielseitigen Inter-
essen und den gelehrten Neigungen Kurfürst Ottheinrichs ist eine Kenntnis des Gebetbuchdrucks und
direkte Beeinflussung durch diese Schrift durchaus möglich* 50). Wie Fremdkörper wirken dagegen in einer
auch sonst etwas bizarren Frakturinschrift von 1593 die runden Formen des 0, vermutlich eine Willkür des
Steinmetzen, die durch den Einfluß der Kapitalis bedingt war. - Eine vom gewohnten Bild der Fraktur
abweichende Schrift zeigt auch die Grabschrift der Olympia Fulvia Morata von 1555 (nr. 276): die Kapi-
talis-Versalien lassen zunächst an eine humanistische Schriftart denken, während die Gemeinen den Typus
der Fraktur zeigen, die allerdings stark kursive Züge aufweist. Im Ganzen entsteht der Eindruck einer Frak-
tur, die an eine Notula der Buchschrift erinnert, ohne daß sich vorläufig in gleichzeitigen Buchschriften ein
Vergleichsbeispiel finden läßt.
Die humanistische Minuskel
Die in anderen Schriftbereichen seltener auftretende humanistische Minuskel hat in Heidelberg bei
den Grabinschriften der Peterskirche vielfach Anwendung gefunden. Bezeichnenderweise sind fast alle
Denkmäler, auf denen sie erscheint, Grabdenkmäler von Gelehrten oder doch Studenten. Ihnen konnte
diese Schrift aus der Lektüre von zeitgenössischen Handschriften oder Drucken vertraut sein. Bereits 1546
wurde der Grabstein des Philipp Rhiner (nr. 251) mit Distichen in der Form einer „antiquaähnlichen
Rotunda“51) beschriftet, während der Titulus in Kapitalis ausgeführt wurde, eine auch sonst bevorzugte
Zusammenstellung. Ähnlich sorgfältig und elegant gehauen sind die humanistischen Minuskelschriften
auf Steinen von 1576 (Wilhelm Xylander und Joachim Buchpach, nr. 337, 338) und 1606 (Markus zum
Lamb, nr. 555, Susanna Zieglin, nr. 557, letztere auffallenderweise in deutscher Sprache). Dagegen zeigt
die Schrift des Grabsteins von 1559 (Nikolaus Druchlabius, nr. 293) stärkere Brechung der Schrift und be-
tonte Unterlängen der Buchstaben / und (langes) s. Ebenfalls starke Brechungen zeigt die knapp dreißig
Jahre später entstandene Grabschrift des Andreas Borkovius (nr. 384), die wiederum kursive Elemente auf-
weist52). Weniger eigenwillige Schriftgestaltung als vielmehr Ungeübtheit und Unvermögen des Stein-
metzen scheint schließlich bei dem Stein des Pfarrers Johannes Kumpfius in Nußloch am Werk gewesen zu
sein: die Schrift vermischt willkürlich Elemente der humanistischen Minuskel und der Kapitalis (nr. 493),
gewollt ist jedoch zweifellos eine Minuskelschrift. Bemerkenswert erscheint dabei, daß derselbe Steinmetz
einen zweiten Stein in ähnlich unbeholfener Schrift meißelte, sich dabei aber durchaus am Kapitalis-Alpha-
bet orientierte (nr. 513).
Hervorzuheben ist schließlich noch die in Inschriften vor dem Jahre 1650 äußerst seltene humanisti-
sche Kursive, die 1613 für die Distichen eines Grabsteins an der Peterskirche verwendet wurde. Der
Erhaltungszustand der Platte ist jedoch so schlecht, daß die Schrift heute nur noch in einzelnen unzu-
sammenhängenden Worten lesbar ist, so daß eine Abbildung nicht möglich war (nr. 583). - Gleiches gilt
für eine kursive Kapitalis, in der 1596 das Schriftzitat einer Kapitalis-Inschrift an der Peterskirche
ausgeführt wurde (nr. 473).
60) Vgl. A. von Reitzenstein, Ottheinrich von der Pfalz. Bremen-Berlin 1939. - R. Kiauser, Der Freund und
Sammler von Büchern, in: Ottheinrich. Sonderband der Ruperto-Carola, Heidelberg 1956, u8fl.
51) Vgl. Arens-Bauer, Mainzer Inschriften 7, ferner DI. II (Mainz) nr. 209 und 935.
52) Die epigraphische Form der humanistischen Minuskel ist bisher nur wenig beachtet worden, zumal es an
ausreichendem Material vor 1650 fehlt. Die hier aufgezeigten Beispiele machen deutlich, daß es zahlreiche Formen
dieser Minuskelschrift gab, die voneinander stark abweichen. Zum Vergleich wird man vorläufig weitgehend auf
Schreibschriften angewiesen sein. - Für die Inschrift nr. 384 wäre etwa vergleichbar in Leonhard Wagners „Proba
centum scripturarum“ (hrsg. von C.Wehmer, Leipzig 1963) die als „Notula poeticalis pressa“ bezeichnete Schrift,
deren f und lange s die gleichen Auf- und Abschwünge aufweisen wie die Inschrift.
XXII
Die Fraktur - im Katalogteil der Inschrifteneditionen zur spezifischen Unterscheidung stets als „In-
schriften-Fraktur“ bezeichnet - wurde in der Mitte des 16. Jahrhunderts für die Inschriften der Steindenk-
mäler übernommen; als Minuskelschrift löste sie die gotische Minuskel ab, nachdem sie bereits im Buch-
druck zur herrschenden Gebrauchsschrift geworden war. Vorzugsweise wurde sie die Schrift der deutsch-
sprachigen Texte; aus dem Übergewicht lateinischer Texte im hier vorgelegten Band erklärt sich auch,
daß sie im Bearbeitungsgebiet gegenüber der Kapitahs weit zurücktritt. Von der gotischen Minuskel unter-
scheidet sich die Fraktur vor allem durch die unter die Zeile herabgezogenen Unterlängen von/und lan-
gem s, durch das sogenannte einstöckige a und die mandelförmige Bildung des o. Die erste reine Fraktur
in sehr sorgfältiger und schöner Ausführung zeigt em Heidelberger Grabstein des Jahres 1552 (nr. 265),
weitere Beispiele stammen dann aus den Jahren 1557 (nr. 287), 1558 (nrr. 290, 292) und 1567 (nr. 309). Von
besonderer Bedeutung sind die Frakturinschriften am Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses (1558;
nrr. 290, 292); in ihrer Formgebung sind sie eng verwandt mit dem Fraktur-Alphabet des Gebetbuchs
Kaiser Maximilians, das 1512/13 von Schönsperger in Augsburg gedruckt wurde. Bei den vielseitigen Inter-
essen und den gelehrten Neigungen Kurfürst Ottheinrichs ist eine Kenntnis des Gebetbuchdrucks und
direkte Beeinflussung durch diese Schrift durchaus möglich* 50). Wie Fremdkörper wirken dagegen in einer
auch sonst etwas bizarren Frakturinschrift von 1593 die runden Formen des 0, vermutlich eine Willkür des
Steinmetzen, die durch den Einfluß der Kapitalis bedingt war. - Eine vom gewohnten Bild der Fraktur
abweichende Schrift zeigt auch die Grabschrift der Olympia Fulvia Morata von 1555 (nr. 276): die Kapi-
talis-Versalien lassen zunächst an eine humanistische Schriftart denken, während die Gemeinen den Typus
der Fraktur zeigen, die allerdings stark kursive Züge aufweist. Im Ganzen entsteht der Eindruck einer Frak-
tur, die an eine Notula der Buchschrift erinnert, ohne daß sich vorläufig in gleichzeitigen Buchschriften ein
Vergleichsbeispiel finden läßt.
Die humanistische Minuskel
Die in anderen Schriftbereichen seltener auftretende humanistische Minuskel hat in Heidelberg bei
den Grabinschriften der Peterskirche vielfach Anwendung gefunden. Bezeichnenderweise sind fast alle
Denkmäler, auf denen sie erscheint, Grabdenkmäler von Gelehrten oder doch Studenten. Ihnen konnte
diese Schrift aus der Lektüre von zeitgenössischen Handschriften oder Drucken vertraut sein. Bereits 1546
wurde der Grabstein des Philipp Rhiner (nr. 251) mit Distichen in der Form einer „antiquaähnlichen
Rotunda“51) beschriftet, während der Titulus in Kapitalis ausgeführt wurde, eine auch sonst bevorzugte
Zusammenstellung. Ähnlich sorgfältig und elegant gehauen sind die humanistischen Minuskelschriften
auf Steinen von 1576 (Wilhelm Xylander und Joachim Buchpach, nr. 337, 338) und 1606 (Markus zum
Lamb, nr. 555, Susanna Zieglin, nr. 557, letztere auffallenderweise in deutscher Sprache). Dagegen zeigt
die Schrift des Grabsteins von 1559 (Nikolaus Druchlabius, nr. 293) stärkere Brechung der Schrift und be-
tonte Unterlängen der Buchstaben / und (langes) s. Ebenfalls starke Brechungen zeigt die knapp dreißig
Jahre später entstandene Grabschrift des Andreas Borkovius (nr. 384), die wiederum kursive Elemente auf-
weist52). Weniger eigenwillige Schriftgestaltung als vielmehr Ungeübtheit und Unvermögen des Stein-
metzen scheint schließlich bei dem Stein des Pfarrers Johannes Kumpfius in Nußloch am Werk gewesen zu
sein: die Schrift vermischt willkürlich Elemente der humanistischen Minuskel und der Kapitalis (nr. 493),
gewollt ist jedoch zweifellos eine Minuskelschrift. Bemerkenswert erscheint dabei, daß derselbe Steinmetz
einen zweiten Stein in ähnlich unbeholfener Schrift meißelte, sich dabei aber durchaus am Kapitalis-Alpha-
bet orientierte (nr. 513).
Hervorzuheben ist schließlich noch die in Inschriften vor dem Jahre 1650 äußerst seltene humanisti-
sche Kursive, die 1613 für die Distichen eines Grabsteins an der Peterskirche verwendet wurde. Der
Erhaltungszustand der Platte ist jedoch so schlecht, daß die Schrift heute nur noch in einzelnen unzu-
sammenhängenden Worten lesbar ist, so daß eine Abbildung nicht möglich war (nr. 583). - Gleiches gilt
für eine kursive Kapitalis, in der 1596 das Schriftzitat einer Kapitalis-Inschrift an der Peterskirche
ausgeführt wurde (nr. 473).
60) Vgl. A. von Reitzenstein, Ottheinrich von der Pfalz. Bremen-Berlin 1939. - R. Kiauser, Der Freund und
Sammler von Büchern, in: Ottheinrich. Sonderband der Ruperto-Carola, Heidelberg 1956, u8fl.
51) Vgl. Arens-Bauer, Mainzer Inschriften 7, ferner DI. II (Mainz) nr. 209 und 935.
52) Die epigraphische Form der humanistischen Minuskel ist bisher nur wenig beachtet worden, zumal es an
ausreichendem Material vor 1650 fehlt. Die hier aufgezeigten Beispiele machen deutlich, daß es zahlreiche Formen
dieser Minuskelschrift gab, die voneinander stark abweichen. Zum Vergleich wird man vorläufig weitgehend auf
Schreibschriften angewiesen sein. - Für die Inschrift nr. 384 wäre etwa vergleichbar in Leonhard Wagners „Proba
centum scripturarum“ (hrsg. von C.Wehmer, Leipzig 1963) die als „Notula poeticalis pressa“ bezeichnete Schrift,
deren f und lange s die gleichen Auf- und Abschwünge aufweisen wie die Inschrift.
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