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Borchardt, Karl; Herrmann, Franz Xaver; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]; Kramer, Theodor [Oth.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 27 = Münchner Reihe, 7. Band): Die Würzburger Inschriften bis 1525 — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.57398#0053
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Neumünster

um 1230

Memorientafel, gedeutet als Grabinschrift des Minnesängers Walther von der Vogelweide. Im Kreuz-
gang des Stifts, dem sog. Lusamgärtlein, nördlich der Stiftskirche. Heute Spurium von 1930 auf einer
rezenten Tumba. Noch im 18. Jh. soll sich eine alte Inschrift an einem Pfeiler der Westarkade befunden
haben, die seit dem 14.Jh. (Michael de Leone) bezeugt und wohl nicht lange nach Walthers um 1230
anzusetzendem Tode entstanden ist.
Pascua qui volucrum vivus, Walthere, fuistia
Qui flos eloquii, qui Palladisb os, obiistic
Ergo quod aureolam probitas tua possitd habere
Qui legit, hice dicat: Deus istius miserere!
Textüberlieferung: (A) M. p. misc. f. 6 fol. 3ivb; (B) Cod. ms. f. 731 fol. 2i2va; (C) Gropp, Kilian 207 nach alter
Würzburger Chronik (1738); (D) Schannat 1726, abgedruckt bei Grauert 398.
a In (A) unten mit blasserer Tinte und kleinerer Schrift Repete bis ,vivusfuisti1.
b In (A) dazu eine Glosse (von derselben Hand wie a) id est muse seu magistre sapiencis-, in (B) id est dee sapientie.
c obivisti (B) nach Korrektur; qui - obiisti von derselben Hand wie die anderen Korrekturen nachgetragen in (A).
d poscit (C) und (D).
e hic fehlt (B).
Gereimte Hexameter.
Du, der im Leben eine Weide der Vögel, eine Blume der Beredsamkeit, ein Mund der Pallas warst, bist gestorben. Damit
deine Redlichkeit himmlischen Glanz erhalte, möge, wer dies liest, hier sagen: Gott sei ihm gnädig!
Die Verse wurden zuerst in zwei um 1350/54 geschriebenen Handschriften mit Aufzeichnungen des
Michael de Leone (s. u. Nr. 75) überliefert. Danach standen sie auf dem Grabstein des Walther von der
Vogelweide im Innenhof des Neumünsterkreuzgangs, dem sog. Grashof, unter einem Baum („De
milite Walthero dicto von der Vogelweide sepulto in ambitu Novimonasterii Herb, in suo epytafio
sculpti erant isti versus subscripti“ M. p. misc. f. 6 fol. 31 vb; „sub arbore“ Cod. ms. f. 731 fol. 212 va).
In der gleichen Handschrift bestätigt Lupoid Hornburg von Rothenburg die Aussagen des Michael de
Leone („Her Walther von der Vogelweide begraben ze Wirceburg zu dem Nuwemunster in dem grase-
hove“ ebd. 191b; „sepulto in ambitu“ ebd. ipiva). Da Michael de Leone die Vergangenheitsform
verwendet, könnte man folgern, daß zu seiner Zeit die Inschrift nicht mehr vorhanden war. Schannat
berichtet jedoch 1726 in einem Brief an Bernhard Pez, sie sei an einem Pfeiler des Kreuzgangs einge-
meißelt. Memminger bringt den nach heutiger Aufstellung östlichen Pfeiler damit in Verbindung, der
über zwei stilisierten Vögeln in einem Medaillon einen Männerkopf zeigt, aber entgegen seinen Aus-
führungen keinen Raum für die Inschrift. Gropp überliefert 1738 die Verse aus einer Würzburger
Chronik im Kloster St. Stephan, deren unbekannter Verfasser die Inschrift ebenfalls noch gesehen
haben will. Angeblich verschwand die Gedenktafel 1792. Dagegen soll nach der Würzburger Presse
vom 11.Juni 1883 Scharold um 1830 im westlichen Kreuzgangflügel die teilweise im Boden versun-
kene Grabplatte mit den an den Ecken eingehauenen Vertiefungen noch vorgefunden haben. Der Hi-
storische Verein von Unterfranken ließ 1843 die Inschrift auf grauem Sandstein an der nordöstlichen
Seite der Kirche in einer Nische erneuern. Friedrich Friedreich ergrub 1883 im Westteil des Lusamgärt-
leins einen roten Sandsarkophag mit den Gebeinen eines älteren und eines jüngeren Mannes, die nach
den Untersuchungen von Virchows wohl nicht zu Walther von der Vogelweide gehören. 1930 ließ die
Stadt Würzburg im Lusamgärtlein einen Stein mit der Umschrift aus dem „Renner“ des Hugo von
Trimberg setzen: „Herr Walther von der Vogelweide, swer dez vergaezze, der taet mir leide.“
Obwohl die Grabinschrift also nicht zweifelsfrei überliefert ist, spricht doch sehr viel dafür, daß Wal-
ther von der Vogelweide in Würzburg starb. Am Haus Elefantengasse Nr. 6 befand sich bis 1945
angeblich ein Wappen, das mit dem in der Manessischen Handschrift Walther zugeschriebenen identisch
war. Nach Grauert mag das Lehen, das Walther um 1220 durch Friedrich II. erhielt, eine Laienpräbende
des Neumünsterstifts gewesen sein. Dazu paßt, daß sein Grab im Innenhof des Kreuzgangs angesiedelt
wird, nicht wie das des etwa ein halbes Jahrhundert später verstorbenen Heinricus Poeta, der Kleriker
war, im Kreuzgang selbst („ambitus“) unter der Totenleuchte („sub lucerna“) vor dem Kapitelsaal
(„capitolium“). Walthers Tod wird gewöhnlich um 1230 angesetzt, da seine letzten datierbaren Werke
von 1228 stammen. Nach einer von der Grabinschrift und einer unrichtig interpretierten Urkunde von
1277 abgeleiteten sagenhaften Lokaltradition soll Walther letztwillig verfügt haben, auf seinem Grabe
im Neumünsterkreuzgang den Vögeln eine Weide zu bieten. Deshalb habe der Stein vier Höhlungen in
den Ecken aufgewiesen, in denen sich die Vögel Futter und Wasser holen konnten. Fabricius berichtet
die Sage von einem Schieferdeckergesellen, der 1647 dort zu Tode stürzte, weil er angeblich diese

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