Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0180
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
152

Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.

Von teglicher ubung in den kirchen.
Vom rechten christlichen bann.
Von verordnung des superattendenten.
[Von schulen, vom ersten, andern und dritten
haufen 1)].
Von der lere.
Nu befinden wir an der lere unter andern
fürnemlich diesen feil, das, wiewol etliche vom
glauben, dadurch wir gerecht werden sollen, pre-
digen, doch nicht genugsam angezeigt wird, wie
man zu dem glauben komen sol, und- fast alle ein
stück christlicher lere unterlassen, on welches auch
niemand verstehen mag, was glauben ist oder
heisst. Denn Christus spricht, Luce am letzten
cap., das man predigen sol in seinem namen,
busse und vergebung der sünden.
Aber viel itzund sagen allein von vergebung
der sünde, und sagen nichts, oder wenig, von busse.
So doch on busse kein vergebung der sunden ist.
Es kan auch vergebung der sünden nicht ver-
standen werden on busse. Und so man die ver-
gebung der sunden prediget on busse, folget, das
die leute wenen, sie haben schon vergebung der
sunden erlanget, und werden dadurch sicher und
forchtlos. Welchs denn grösser irthum und sunde
ist, denn alle irthum für dieser zeit gewesen sind.
Und vorwar zu besorgen ist, wie Christus spricht,
am 12 cap., das das letzte erger werde, denn,
das erste.
Darumb haben wir die pfarherr unterrichtet
und vermanet, das sie, wie sie schüldig sind, das
evangelion ganz predigen, und nicht ein stück
on das ander. Denn gott spricht, deuteronomii
am 4. man sol nicht zu seinem wort, oder davon
thun. Und die itzigen prediger schelten den
bapst, er habe viel zusatz zu der schrift gethan,
als ,denn leider allzu war ist. Diese aber, so die
busse nicht predigen, reissen ein gros stück von
der schrift, und sagen die weil vom fleisch essen
und der gleichen' geringen stücken, wiewol sie
auch nicht zu schweigen sind, zu rechter zeit,
umb der tyrannen willen, zu verteidigen die
christliche freiheit. Was ist aber das anders,
denn wie Christus spricht Matthei am 23. ein
fliegen seigen, und ein kameel verschlingen2) ?
Also haben wir sie vermanet, das sie vleissig
und oft die leute zur busse vermanen, reu und
leid uber die sunde zu haben, und zu erschrecken
für gottes gericht. Und das sie auch nicht das
grössest und nötigst stück der busse3) nachlassen,
1) Dieser letzte Satz fehlt in dem Drucke von
Schirlentz 1528. Offenbar nur aus Versehen.
2) 1538 statt [ein fliegen .. verschlingen]:
„eine mucken seigen, und ein kameel verschlucken?“
3) 1538 statt [das grössest .. busse]: das grosse
und nötige stücke der busse.

denn beide, Johannes und Christus, die Phariseer
umb ire heilige heuchelei herter strafen, denn ge-
meine sünder. Also sollen die prediger in dem
gemeinen man die grobe sunde1) strafen, aber
wo falsche heilickeit ist, viel herter zur busse
vermanen.
Denn wiewol etliche achten, man sol nichts
leren für dem glauben, sondern die busse aus und
nach dem glauben folgend leren, auf das die
widersacher nicht sagen mügen, man widerrüfe
unser2) vorige lere, so ist aber doch anzusehen,
weil die busse und gesetz auch zu dem gemeinen
glauben gehören (denn man mus ja zuvor gleuben,
das gott sei, der da dreue, gebiete und schrecke etc.).
So sei es für den gemeinen groben man, das man
solche stücke des glaubens las bleiben, unter dem
namen busse, gebot, gesetz, forcht etc. Auf das
sie deste unterschiedlicher den glauben Christi
verstehen, welchen die apostel iustificantem fidem,
das ist, der da gerecht macht und sunde vertilget,
nennen, welchs der glaube von dem gebot und
busse nicht thut, und doch der gemeine man,
uber dem wort glauben, irre wird, und frage auf-
bringet on nutz.
Von den zehen geboten.
Darumb sollen sie die zehen gebot oft und
vleissig predigen, und die auslegen und anzeigen,
nicht allein die gebot, sondern auch, wie gott
strafen wird, die so sie nicht halten, wie auch
gott solche oft zeitlich gestraft hat. Denn solche
exempel sind geschrieben, das man sie den leuten
fürhalte, wie die engel zu Abraham sprachen, da
sie sagten zu ihm, Genesis 19., wie Gott Sodoma
strafen wolt, und mit hellischem feur verbrennen.
Denn sie wissten, er würde es seinen nachkomen
sagen, das sie gott lerneten fürchten.
So sollen sie auch etliche besondere laster,
als ehebruch, seuferei, neid und hass, strafen und
anzeigen, wie gott die selben gestraft hat, damit
er anzeigt, das er on zweifel nach diesem leben
viel herter strafen wird, wo sie sich hie nicht
bessern.
Und sollen also die leute zur gottesforcht, zur
busse und reu gereitzt und vermanet werden, und
das sicher und forchtlos leben, gestraft werden.
Darumb sagt auch S. Paulus zu den Römern am
3. cap., durch das gesetz kompt nür erkenntnis
der sunde. Denn sunde erkennen ist3) nichts
anders, denn wahrhaftige reu.

1) 1538 statt [die .. sünde]: die groben sünden.
2) 1538 statt [unser]: diese.
3) 1538 statt [durch das ... ist]: durch das ge-
setz kömpt erkentniss der sünde. Und sünde erkentniss
ist etc.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften