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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0190
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162

Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.

Etliche so sie von der tödtung reden, wenen
sie allein das fleisch im zaum halten, das do mehr
ist1) ein werk eines neuen lebens, für welchem
werk sein mus die tödtung des fleisches, das ist
denn nichts anders, denn warhaftige reue.
Item, etliche reden also, man mus sich er-
kennen, das die ganz natur arg sei etc. Solche
wort, wenn die leute gedenken, meinen sie, sie
erkennen sich2), und werden dadurch nur frevel.
Es ist aber viel ein ander ding, sich erkennen,
und durch das gesetz kompt erkentnis der sunde,
denn das heisst die sünde erkennen, reu und
leid darob tragen, und erschrecken von herzen
für gottes zorn und gericht. Wie David die sunde
erkand, da der prophet Nathan zu ihm kam, und
ihn strafet, im andern teil Samuelis am 12. Cap.
Denn David wuste zuvor auch wol, das er ge-
sündigt hatte, aber er hatte noch nicht reue, dar-
umb hatte er nicht rechte erkentnis der sünde.
Es ist auch eine hohe rede, die die anfangen-
den leien nicht verstehen, die natur erkennen,
das alles an uns sundlich sei, denn es kompt nicht
bald dahin, das ein mensch erschrecke für allen
seinen guten werken, und sundige auch in guten
werken, wie denn Salomo sagt im prediger
am 7.: Es ist kein mensch auf erden, der guts
thue und nicht sundige3).
Man sol die kinder4) leren an den benken
gehen, also sol man busse und reue leren an
groben sünden, die wir alle verstehen. Man strafe
füllerei, unkeuscheit, neid und hass, geiz, liegen
und der gleichen, und reize die leute zu reu,
halte ihnen für gottes gerichte und strafe, und .der
schrift exempel, da gott sunde gestraft hat.
Aber für den heuchlern, da es not ist, ver-
gesse man auch nicht des zorns und strafen gottes,
uber die falschen gottes diener, oder heuchler,
die gottes namen lestern mit ihrem heiligen schein.
Etliche wenen, dieweil gott rechte reu in
unsern herzen macht, man dürfe die leute nicht
dazu vermanen. War ists, das gott rechte reu
wirket, wirkts aber durch die wort und predigt.
Und wie man die leute vermanet zum glauben,
und gott wirket glauben durch solche predigt.
Also sol man auch zu reu vermanen und treiben,
und gott befelhen, in wem er reu wirket. Denn
er wirkt durch die predigt. So spricht Moses
Deut, am 4.: Gott ist ein fressigs5) feur, so

1) 1538 statt [wenen ... ist]: verstehen allein das
fleisch im zaum halten, welchs mehr ist.
2) 1538 statt [Solche wort ... erkennen sich]:
Solche wort sind wol recht, aber etliche meinen, wenn
sie schlecht so hin denken konnen, sie erkennen sich.
3) [Es ist auch eine hohe rede ... sündige]
fehlt in der Ausgabe von 1538.
4) 1538 statt [Man ... kinder]: Man sol aber die
kinder.
5) 1538 statt [fressigs]: verzerend.

die predigt von gottes gericht und zorn reu in
uns wirket.
Also ist das erste teil der busse, reu und leid.
'Das ander teil ist gleuben, das die sunde umb
Christus willen vergeben werden, welcher glaube
wirket guten fürsatz. Also erlangen wir mit dem
glauben vergebung der sunde, wie S. Paulus zun
Römern am 3. gesagt hat. Aber solcher glaube,
wie oft gesagt ist, kan nicht sein, wo nicht vorhin
reu und leid ist. Denn reu on glauben, ist Judas
und Sauls reue, das ist, verzweivelung. Gleich
wie glaube on reue vermessenheit und fleischliche
sicherheit ist, wie hernach folgen wird.
Man hat zuvor geleret, es seien drei teil der
busse, als nemlich, reu, beicht, und genugthuung.
Nu haben wir vom ersten teil geredt, das reu und
leid sol alleweg geprediget werden, und das er-
kentnis der sunde, und tödtung heissen reu und
leid. Ist auch gut, das man diese wort, reu und
leid brauche, denn diese wort sind licht und klar
zu verstehen.
Von der rechten christlichen beicht.
Die bepstische beicht ist nicht geboten, nem-
lich, alle sünde zu erzelen, das auch unmöglich
ist, wie im 19. Psalm stehet. Wer merket auf
die feile? Mach mich rein von den heimlichen 1).
Doch sol man die leute umb viel ursachen willen
vermanen zu beichten, sonderlich die felle, dar-
innen sie rats bedürfen, und die sie am meisten
beschweren.
Man sol auch niemand zum heiligen sacra-
ment gehen lassen, er sei denn von seinem pfar-
herr in sonderheit verhört, ob er zum heiligen
sacrament zu gehen geschickt sei. Denn S. Paulus
spricht in der 1. zun Corinthern am 11, das die
schuldig sind an dem leib und blut Christi, die
es unwirdiglich nemen.
Nu unehren das sacrament nicht allein die
es unwirdig nemen, sondern auch die es mit un-
vleis unwirdigen geben. Denn der gemein pöfel
leuft umb gewohnheit willen zum sacrament, und
weis nicht, warumb man das sacrament brauchen sol.
Wer nu solchs nicht weis, sol nicht zum
sacrament zugelassen werden. Zum brauch des
sacraments in solcher verhöre, sollen die leute
auch vermanet werden zu beichten, das sie unter-
richt werden, wo sie irrige felle hetten in ihren
gewissen. Auf das sie trost empfahen, wo rechte
reuige herzen sind, so sie die absolution hören2).

1) 1538 statt [Wer merket ... heimlichen]:
Wer kan merken, wie oft er feilet? Verzeihe mir die
verborgen feile.
2) In der Ausgabe von 1538 befindet sich fol-
gender Zusatz: „Sonderlich sol man den leuten die
absolution (welches im bapstthum ganz geschwigen)
 
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