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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0394
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Hanau-Münzenberg

Gebrauch und der Pfarrer in Orb richtete sich nach der Gottesdienstordnung Herzog Heinrichs von Sach-
sen.35
Aufgrund dieser bei der Visitation zutage getretenen Vielzahl unterschiedlicher Kirchenordnungen
drängte der Nassauer Superintendent Bernhard Bernhardi 1563 auf die Einführung eines einheitlichen
Regelwerks und empfahl hierfür die Pfalz-Zweibrücker Kirchenordnung36 von 1557. Diese wollte man
jedoch nicht einfach übernehmen, sondern plante unter Hinzunahme weiterer Kirchenordnungen ein
eigenes Regelwerk zu verfassen. Trotz dieser Bemühungen wurde kein einheitlicher Text ausgearbeitet. Für
den 24./25. April 1571 hatte die Vormundschaftsregierung in Windecken eine Synode einberufen, auf der die
Frage der Kirchenordnung erneut beraten wurde. Die beiden Superintendenten wurden beauftragt, einen
Entwurf für die Kirchenordnung anzufertigen.37 Doch auch dieser Vorstoß führte nicht zum Erfolg. Noch
Jahre später wurde um eine Agende gerungen, und Philipp Ludwig I., der inzwischen die Regentschaft
angetreten hatte, führte schließlich 1578 die mit einigen Änderungen38 versehene Hanau-Lichtenberger
Kirchenordnung39 von 1573 ein.
Weitere Nachrichten zu den in Hanau-Münzenberg verwendeten Kirchenordnungen begegnen erst wie-
der 1609. In diesem Jahr wurde das gesamte Hanau-Münzenberger Kirchenwesen einer Verwaltungsreform
unterzogen, in deren Folge zahlreiche neue Ordnungen entstanden. In den überlieferten Sitzungsprotokol-
len40 des Konsistoriums, zu denen auch die kurpfälzischen Kirchenräte Abraham Scultetus41 und Otto von
Grünrade42 hinzugezogen wurden, beriet man wieder über die in Gebrauch befindlichen Kirchenordnungen.
Der Hanau-Münzenberger Rat Otto Schultheß, hielt fest, daß man sich der churpfalzischen kirchenordnung
bequemete. Auch der Hanauer Inspektor Heinrich Heidfeld unterstrich: die Heidelbergische kirchenordnung
were alhie introducirt.43 In welchem Jahr die kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 übernommen worden
war, ist nicht bekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass sie seit dem Regierungsantritt Philipp Lud-
wigs II. 1595, mit dem auch der Konfessionswechsel zum reformierten Bekenntnis verbunden war, in
Hanau-Münzenberg verwendet wurde. Offenbar dachte man aber 1609 daran, von dieser wieder abzugehen
und auf der Grundlage der Kurpfälzer und Nassauer Ordnungen eine eigene Agende zu verfassen.44 Die
angestellten Überlegungen zu einer eigenständigen Gottesdienstordnung für Hanau-Münzenberg führten
jedoch auch dieses Mal nicht zum Ziel, zumindest finden sich im Verlauf der mehrwöchigen Beratungen des
Konsistoriums in den Protokollen keinerlei Gespräche mehr zu diesem Thema.
In der Grafschaft Hanau-Münzenberg waren also bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts verschiedene
Kirchenordnungen in Gebrauch, die sämtlich aus anderen Territorien übernommen worden waren. Eine
eigenständige Hanau-Münzenberger Kirchenordnung war nicht zustande gekommen.

35 Abdruck der sächsischen Kirchenordnung von 1539 in
Sehling, EKO I, S. 264-281. Vgl. Heiler, Pfarrerper-
sonalien, S. 162.
36 Abdruck in Sehling, EKO XVIII, S. 71-259.
37 Brammerell, Kirchenreformation, S. 50, 56-60;
Heppe, Kirchengeschichte 2, S. 231; Scheer, Einfüh-
rung, S. 19f.; Kurz, Zeit der Reformation, S. 35.
38 Heppe, Kirchengeschichte 2, S. 235 plädierte dafür,
dass aufgrund der Änderungen eben nicht die Hanau-
Lichtenberger Kirchenordnung in Hanau-Münzenberg
eingeführt worden sei. Da die Münzenberger Ordnung
nicht überliefert ist, lässt sich Heppes Einschätzung
nicht prüfen. Vgl. Brammerell, Kirchenreformation,
S. 68ff; Scheer, Einführung, S. 20; Kurz, Zeit der
Reformation, S. 35; Menk, Philipp Ludwig I., S. 158f.,
Anm. 182; Gbiorczyk, Entwicklung, S. 64.

39 Abdruck in Sehling, EKO XX/2.
40 SUB Göttingen 2° Cod. Ms. Jurid. 8, Bd. II, fol. 1-58.
41 Abraham Scultetus (1566-1624) hatte in Wittenberg
und Heidelberg studiert und war 1595 in die Dienste der
Pfälzer Kurfürsten getreten. Seit 1618 war er Professor
für Altes Testament in Heidelberg; im darauffolgenden
Jahr ging er mit Kurfürst Friedrich V. nach Prag, von
1622 bis zu seinem Tode 1624 war er Prediger in Emden,
Wriedt, Scultetus, in: RGG 7 (2004), S. 1084; Drüll,
Gelehrtenlexikon, S. 498f.
42 Zu Otto von Grünrade siehe oben, S. 35 Anm. 135.
43 SUB Göttingen 2° Cod. Ms. Jurid. 8, Bd. II, fol. 5r, 9r.
Abdruck der kurpfälzischen Kirchenordnung von 1601 in
Sehling, EKO XIV, S. 556-585.
44 SUB Göttingen 2° Cod. Ms. Jurid. 8, Bd. II, fol. 8v, 9v.

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