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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0473
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11. Almosenordnung [1600]

hauses hiemit befehl haben, wo es bei tage, die mit
einer gabe nach gelegenheit mit kundschaft eines
kirchendieners, taghüters, nachbarn oder nachbarin
jedes orts abzuefertigen, da es aber gegen abent, sie
anzuenehmen, doch ihre gelegenheit die almusen-
pfleger zue berichten, die jederzeit nach notturft ha-
ben fernern befehl zuegeben und die hand zuebieten,
und dieß, so viel die gesunden frembden anlangen
thuet.
3. Da sichs aber zuetrüge, daß arme frembde
personen kranck an einen orth gebracht oder | 342r |
daselbst uber nacht kranck würden, sollen dieselben
alsbald den almusenpflegern des orts und durch den
pfarrherr und sie, die almusenpfleger, eilends be-
sucht und umb bescheid und gelegenheit ihrer per-
son, nahmens, heymath, eltern, freundschafft, auch
kranckheit und dero gleichen befraget werden, und
da es sich befindet, daß solche personen mit aufrich-
tigen sachen umbgehen und noth leiden, sollen alls-
dan gedachte pfarrherr und almusenpfleger schuldig
sein, sich deren nicht weniger als der inheimischen
anzuenehmen, biß man ihnen weiter rhat kan schaf-
fen und die verordnung thun, damit sie inmittelst an
trost und labung nach gelegenheit keinen mangel
haben.
4. Wo es dan sach, daß solche krancke personen,
die sonsten nicht fortkommen können, das fahren
erleiden möchten86 und etwan in der nähe
freundte87 hetten, von welchen sie beßer wartung
verhoften und demnach zue ihnen begehreten, soll
die gemaind ihnen dahin mit einer fuhr behüfllich
sein und sie also von einem flecken zum andern brin-
gen.
5. Da aber ihr heymat oder freundschafft so weit
entlegen, daß durch langwirige reise des lebens oder
noch schwerer kranckheit gefahr zuebesorgen, soll
man sie, wo nicht | 342v | albereit in einem spittal
liegen, dem negstgelegenen spittal von dorf zue dorf,
darin deren eines dem andern die hand zuebieten,
zueführen, welcher sie auch (doch auf erkantnus des
orts beampten, pfarrherrs und almusenpflegern)
86 Dass sie zu den Nichtsesshaften, fahrenden Leuten ge-
rechnet werden müssten, vgl. Schubert, Fahrendes
Volk, bes. S. 66-84.
87 Verwandte.

aufzuenehmen und ihrer träwlich und nach notturft
zue pflegen schüldig sein soll so lang, biß Gott be-
ßerung ihrer gesundheit beschere oder sie von die-
sem leben zue sich erfordere, auf welchen fall auch
dem spittal oder des orts almusen alles bleiben soll,
so bei solchen funden wirt.
III. Frembde bettler und landtstreicher
1. Jetz gedachtes alles aber soll allein von denen ar-
men frembdlingen verstanden werden, die nicht dem
betteln nachziehen. Welche aber nur landstreicher
seindt und aus einem land in das ander laufen, da-
heim das ihre verlaßen und nicht arbeiten mögen,
die sollen ins land nicht gelaßen, sondern auf den
orth ampts stracks durch unsere ober- und under-
amptleuthe zuerück gewiesen werden, daher sie
kommen.
2. Wie dan auch die, so auf ihre bettelbrief und
angemaste leibsschäden durchs landt von haus zue
haus laufen, ein handwerck aus dem bet-| 343r | teln
machen und daheimb nicht arbeiten wollen, sondern
in einem frembden land die armen underthanen zum
högsten beschweren, auch (wie es die erfahrung
gibt) deren viel mit bösen stücken behaft seint, da-
runder auch bißweilen mörder, brenner und diebs-
gesellschafften sich enthalten, vermög des reichs
constitution88 nirgents geduldet, sondern, wo die be-
tretten in dörfern und flecken, zwar durch die tag-
hüter oder bütel, in stätten aber durch die bettel-
vögt, pförtner und andere darzue verordnete diener,
ab- und durchgewiesen oder, da sie sich bettlens un-
derstünden, eingezogen und der obrigkeit uberliefert
werden. Welche ihre briefe, dieweill die gemeiniglich
falsch und die einander zue verkaufen pflegen und
dan ihre schäden, so zum mehrer theil betrieglich,
auch ihre kleider, darin sie etwan verdächtige und
gefehrliche briefe oder anders, auch bißweilen mehr
gelts vernehet haben, dan ihnen vonnöten, mit fleiß
besichtigen und durchsuchen, und da ainiger falsch
oder betrugk befunden, sie durch den nachrichter
88 Vgl. die Reichspolizeiordnung von 1577, § 27, Weber,
Reichspolizeiordnungen, S. 256f.; vgl. Quellen zur Neue-
ren Privatrechtsgeschichte 2, S. 21.

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