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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0187
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III 4 a Kirchenordnung 1533

also verkeret, nicht weniger schedlich und streflich
dann andere ketzerische und verfürische leer.
Der viert mißbrauch ist, wann man das gebet für
ein solich werk helt, darmit man Gott oder den hei-
ligen ein dienst und eer erzaige, und nit dahin ge-
richt ist, das man ernstlich in der not etwas erlangen
wölle, als wann man vil Vater unser und Ave Maria
plappert nicht der mainung, das man gewißlich ver-
trau zu erlangen, was man im Vater unser begert,
sunder das mans auf den daumen fasse und in himel
auf hinschnelle, das der junkfrauen Maria ein krenz-
lin daraus werde6, darob sie ein sundere freud emp-
fahe, gleich als hette sie an Gott nicht freud und
seligkeit gnug. Oder wann mans auf ein püschlein
zusammen pindet und will damit die sünde bezalen7
gleich als hette Christus nicht für unser und der gan-
zen welt sünde vorhin gnug getan. Dieser mißbrauch
ist nicht allein unchristlich, sunder auch recht alt-
vettelisch und nerrisch. Er wird aber fein ausgereu-
tet, wo man recht christlich, wie vor angezaigt, vom
gebet leret.
a
Vom freien willen 1
Es reden auch vil vom freien willen unbeschaiden9.
Darumb haben wir disen kurzen unterricht hierzu
geschrieben.
Der mensch hat aus aigner kraft ein freien willen,
eußerliche werk zu tun oder zu lassen, durch gesetz
und straf getrieben. Derhalben vermag er auch welt-
liche frümbkeit und gute werk zu tun aus aigner
kraft, von Gott darzu gegeben und erhalten; dann
Paulus nennets gerechtigkeit des flaischs, das ist, die
das flaisch oder der mensch aus aigner kraft tut.
Würkt nun der mensch aus aignen kreften ein ge-
rechtigkeit, so hat er ja ein wal und freiheit böses
zu fliehen und guts zu tun. Es fordert auch Gott so-
liche eußerliche oder weltliche gerechtigkeit, wie ge-
schrieben ist zun Galatern am 3 [21-24], Das gesetz

a 1591 : + Das achte capitul.
6 Wie es die für die in der katholischen Kirche übliche
Gebetsform des ,, Rosenkranzes“ Vorstellung ist. Sie
reiht 15 Gruppen von je einem Vaterunser, 10 Ave
Maria und einem Ehre sei dem Vater usw. aneinander
(Wetzer 10,1275-1280. - LThK 8, 989-994.
7 Wie etwa eine dem Gläubigen bei der Beichte als
Genugtuung auferlegte Anzahl bestimmter Gebete.

ist gemacht, eußerliche übertretung zu weren, und
in der ersten zu Timotheo am ersten [9]: Dem ge-
rechten ist kein gesetz gegeben, sunder dem un-
gerechten und ungehorsamen, den gotlosen und sün-
dern, als wolt Sanct Paulus sprechen: Wir können
das herz aus aigner kraft nicht endern, aber eußer-
lich ubertretung mögen wir verhüten. Man soll auch
leren, das Gott nicht gefallen hat an einem wüesten,
haidnischen leben, sunder Gott fordert von jeder-
man soliche gerechtigkeit, straft auch hart mit aller-
lei weltlichen plagen und ewiger pein solich wüests
wesen.
Doch wird dise freiheit verhindert durch den Teu-
fel. Dann wann der mensch durch Gott nicht würdet
beschützt und regiert, so treibt ine der Teufel zu
sünden, das er auch eußerliche frümbkeit nicht helt.
Soliches ist not zu wissen, das die leut lernen, wie
ein schwach, elend mensch ist, der nicht hilf bei Gott
sucht. Soliches sollen wir erkennen und Gott umb
hilf bitten, das er dem Teufel were und uns behüte
und uns rechte götliche gaben gebe.
Zum andern kann der mensch aus aigner kraft das
herz nicht rainigen und götliche gaben würken als
warhaftig reu uber die sünd, warhaftige und nicht
erdichte forcht Gottes, warhaftigen glauben, herz-
liche liebe, keuscheit, nicht rachgirig sein, warhaf-
tige gedult, senlich bitten, nicht geizig sein etc.
So spricht Paulus zu den Römern am 8. [3. 5-8]:
Der natürlich mensch kann nichts götlichs würken,
sihet nicht Gottes zorn, darumb förcht er in nicht
recht; sihet Gottes gütigkeit nicht, darumb glaubt
und trauet er ime auch nicht. Darumb sollen wir
stetigs bitten, das Gott seine gaben in uns würken
wölle.
b
Von christenlicher freiheit1.
Etlich reden auch unbeschaiden von christlicher
freiheit, dardurch die leut zum tail vermainen, sie
b 1591 : + Das neunte capitul
8 Aus dem Unterricht der visitatoren an die pfarrherrn
im kurfürstentum zu Sachsen 1528 (Sehling 1,166).
9 = unvernünftig (Schmeller 1, 371).
1 Aus dem Unterricht der visitatoren an die pfarr-
herrn im kurfürstentum zu Sachsen 1528 (Sehling
1,166f.).

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