Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0329
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
IV 2. Ordnung singens und lesens bei den stiften.

Gestreng, hochgelert, edel und vest statthalter
und ret! Gunstig, lieb herren!
Als euer gnad und gunst uns bevolhen, wir sol-
len die geseng im stift allzumal fur uns nemen und
ubersehen, was christlich oder unchristlich, dem gott-
lichen wort und unsers gnedigen herrn christlichen
ordnung gemes oder entgegen sei, haben wir alles in
gehorsam mit fleis geton und erstlich all ir gesang
de tempore1 uberlesen und, wes der hailigen schrift
ungemes oder entgegen, aufzaichnet. Was aber von
den hailigen ist, haben wir zum tail auch uberlesen
und verzaichnet, was uns mißfallen hat, daneben
aber bedacht, das unsers gnedigen Herrn cristliche
ordnung nicht vermög, das man von hailigen über
tags soll in den kirchen singen und lesen, sonder vil
mer von der zeit, welchs wir auch fur das best an-
sehen aus nachvolgenden ursachen.
Zum ersten, das die kirchen gebreuch, singen und
lesen nicht ain verdienstlich werk sein sollen, wie
sie vermaint haben, das sie durch solche geseng und
lesen wollen den hailigen insonderhait dinen, auch
dardurch gnad, ablas und anders mer bei den hai-
ligen erwerben, das sie ire fursprecher vor Gott seien,
welchs wider Gott und die hailigen geschrift ist, auch
Christum aus seinem ambt stoßet, der uns von Gott
zur weisheit, gerechtigkeit, mittler, tur und weg zum
Vater gemacht und geben ist.
Zum andern, das die ubung der hailigen geschrift
darbei underlassen wurd, welche ubung von Gott,
aposteln und alten vätern geboten und verordnet ist
worden. Dann je aigentlich die hore canonicae von
alters allain zu ainer ubung im wort Gottes sind an-
gefangen worden. Wo man nun alle hailigen wie bis-

Druckvorlage: Original (Kanzleireinschrift auf
Papier) (NStA Ansbacher Oheramtsakten 135 f. 293
bis 301) (ohne Überschrift). — Gleichzeitige Abschrif-
ten: NStA ARA 2 f. 62-70 (aus dieser die erst von
anderer Hand beigeschriebene Überschrift); 9 f. 186
bis 194. - Druck (als hohenlohische Kirchenordnung):
J. Chr. Wibel, Hohenlohische Kirchen- und Refor-
mationshistorie 4 (Ansbach 1755) Codex. diplomaticus
80-101. - Auszugsweise veröffentlicht: J. B. Grötz,

her hulte, so wurd der hailigen geschrift ubung nit
statt kunden haben.
Zum dritten, das in der hailigen legenden vil un-
gewis ist, ja etliche legenden mer fabeln dann war-
heit, mer abgottisch und schedlichs ding haben dann
hailsams, nutzlichs und besserlichs und das man im
Gottes gemain nicht ungewis singen soll, wie auch
sant Petrus leret, 1. Petri 4 [11]: So jemand redet,
das ers red als Gottes wort etc.
Zum vierten, das etliche vest und gesang der hai-
ligen liederlich, neulich, ain tail aus leichtfertigen
ursachen angefangen sind und allain umb der pre-
senz2 willen gehalten werden,
Sehe uns derhalben für gut an, das man die horas,
gesang etc. von den hailigen gar underlies und an
derselben stat de tempore sung und lese, damit man
bei der hailigen, gottlichen schrift blibe, dieweil der-
selben lectiones, responsoria, antiphonae de tempore
gewonlich aus der hailigen geschrift genomen sein.
Geschee derhalben nicht sonderlich neuerung oder
enderung, sonder, so man de tempore sunge, hielte
man den alten, rechten gebrauch der stift und clö-
ster. Dann die historien von den hailigen sind neu
und nicht ainsmals angericht, wie die von der zeit,
sonder darnach, je ainer zu ainem sondern hailigen
sonder lust gehabt, hat er ime ain sonderlich fest mit
sonderlichen gesangen gestiftet und damit ime wol-
len als seinem patron dinen und das hat aigentlich
der Satan angericht, damit er die leute von unserm
lieben Herrn Christo auf die hailigen und aigen ver-
dienst furete. Und so mans also bleiben lies, wurde
es aigentlich wider dahin geraten. Dann auch die,
so teglich mit Gottes wort umbgeen, sich selbs
schwerlich aus dem alten irrtumb und vertrauens

Eine protestantische Reform des Breviers, in: Theol.-
prakt. Monatsschrift 12 (1902) 236-244.
1 de tempore = der Kirchenjahresteil im Unterschied
von dem gleich nachher genannten Teil mit den Hei-
ligentagen (,,von den heiligen“ = de sanctis).
2 = Präsenzgelder = Geldbeträge, die die Chorherrn
für ihre Anwesenheit beim Chordienst erhielten
(Wetzer 10,274.- LThK 8,435).

311
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften