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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0415
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[IV 18.] Figural und coral zu ziemlicher zeit in der kirchen
zu singen und in den schulen anzurichten 1538.

Von Gottes gnaden Georg, marggrave zu Bran-
denburg etc.
Unsern grues zuvor!
Lieben, getreuen!
Wir werden bericht, das ain zeitlang here bei euch
und in andern unsern stetten und flecken unserer
furstentumbs und land in den lateinischen schulen1,
da doch die jugend dieser zeit in gueter anzal zur
schul und lernung gehalten wurdet, die kunst der
musica, sonderlich das figuralgesang2, dabei auch
den mererem tail an vil orten das rain3 coral4 under-
lassen und neben den teutschen christlichen, nach
unserer ausgangen kirchenordnung gesetzten gesen-
gen wenig gebraucht werden, dadurch (wie wir emp-
findlich wissen) die sach dahin raicht, das gar selt-
zam ain oder mer knaben funden, die ainich latei-
nisch responsorium5 (wie man es nennt) singen kön-
nen, und soll under anderm die ursach furgezogen
werden wöllen, als sollt furnemblich das ermelt figu-
ralgesang gotlichem wort oder gemeins christenvolks
andacht etwas verhinderlich sein etc.
Nun wissen wir uns obgemelter unser ausgangen
kirchenordnung sampt der angeheften kinderlere6,
bedes uf Gottes seligmachend wort gegründet, wol
zu erinnern, nachdem wir die doch teglich vor der
hand haben, welichen beden wir auch ainichen ab-
bruch oder verminderung kains wegs gedenken zu
tun, das aber in derselben etwas gesetzt, dadurch das

Druckvorlage: Original (Papier, Folio, 8 Seiten)
(Wunsiedel Stadtarchiv XXI 23). - Druck: Ze-
heter, Eine ansbach-bayreuther Verordnung vom
Jahre 1538, Choral- und Figuralgesang betr., in:
Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 34
(1929) 3ff.
1 Wunsiedel besaß seit dem Anfang des 15. .Jahr-
hunderts eine Schule, an der die Stadt beteiligt war.
Aus der 1451 errichteten Wannschen Spitalstiftung
erhielten die „Armen Schüler“ die Kost. Bis 1528
lassen sich 77 aus Wunsiedel stammende Studenten
aus deutschen Universitäten zählen (J. K. Fr. Wern-
lein, Geschichte des Wunsiedeler Lyzeums. Wun-
siedel 1802-1804. - Ruckdeschel, Geschichte der
... Stadt Wunsiedel. Wunsiedel 1855. 144ff. 149f. —
Jordan 1,49. 81. — H. Gürsching, Das Alum-
neum in Wunsiedel, in: ZbKG 14 [1939] 20ff.).

figural, auch die rainen, aus heilger schrift gezogene
introit7, sequens8 und anders von coralgesang, zu
seiner geburlichen zeit bei den kirchen zu singen,
verboten oder nit gut sei, das wurdet darinnen nit
funden. So lassen wir auch soliche geseng als nemb-
lich psalmen und ander ding, aus heiliger gotlichen
schrift gezogen, und nit weltliche, zu unzucht rai-
zende liedle, hie zu Onoltzbach als in unserm furst-
lichen anwesen (zu geburlicher zeit) nit allain sin-
gen, sonder denselben gesengen mit pusaunen und
andern dergleichen instrumenten beistand tun - nit
zu unserm oder der unsern wollust, sonder zuvor-
derst, ja auch allein zu der ehre Gottes des Almäch-
tigen, dahin auch solichs wie sonst alles anders ent-
lich gerichtet und gemeint sein sölle -, wie auch hie
zu allen hochzeiten9 in der kirchen nit unzimblich
geschicht und gehalten wurdet.
Wir mussen aber vil mer dafur achten, das es nit
die ursach hab Gottes wort oder cristlicher andacht
verhinderung halben, sonder das die schulmaister
und ire cantores aintweder solichs figuralgesangs
kainen bericht oder sunst villeicht auch etliche pfarr-
herrn, prediger oder caplone weder lust noch lieb
darzu haben. Nachdem Gottes wort dadurch ja nit
verhindert wurdet, sondern ein jedes als singen,lesen
und predigend und also auch ains bei dem andern
wol stathat, auch unser und sonst die mainung gar
nit ist, das solich figuralgesang pfleglich10, sonder
2 = mehrstimmiger Gesang.
3 = nämlich in evangelischem Sinne.
4 = einstimmiger Gesang.
5 Von einem Vorsänger und einem Chor im Wechsel aus-
geführter Gesang im Anschluß an die Schriftlesung
(Braun 293).
6 Unsere Nr. III 4 a und b.
7 Ein aus Antiphone, Psalm, Gloria Patri und Wie-
derholung der Antiphone bestehender Chorgesang
zum Beginn des Gottesdienstes (Braun 144).
8 Ein im Anschluß an das Halleluja des zwischen Epi-
stel- und Evangelienlesung gesungenen Gradualver-
ses (vgl. S. 326 Anm. 9) gesungenes Lied (Braun
319).
9 Zum gleichen Gebrauch siehe unsere Nr. IV19 S. 402.
10 = gewöhnlich, regelmäßig (Schmeller 1,449).

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