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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0639
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Sie richtete sich im allgemeinen nach der brandenburgisch-nürnbergischen Kirchenordnung bzw.
dem Agendbüchlein Veit Dietrichs10. Das geschah in solchem Maße, daß teilweise die entsprechenden
Texte und Stellen überhaupt nicht abgedruckt sind, sondern einfach auf dieses Buch, das also neben
der Kirchenordnung noch vorhanden sein mußte, verwiesen wurde. Doch wurde z. B. der Übergang von
den Perikopenordnungen zur Lectio continua nicht gemacht. Vielmehr wurde sogar bei den Nebengottes-
diensten, bei denen er sonst am leichtesten verschwand, ein ausgeprägter de tempore-Charakter beibehal-
ten. Diese Nebengottesdienste sind ja überhaupt eine besondere Eigenart dieser Kirchenordnung. Sie
behielten nicht nur ähnlich wie Hof in den Vespern gleich drei (von den sonst üblichen fünf) Psalmen
der mittelalterlichen Vesper11 bei, sondern führten auch die Metten12 in ausgedehnter Weise weiter. Na-
türlich zeigt auch Sutels Einleitung dieser Haltung entsprechende Eigenprägung. Es ist daher durch-
aus verständlich, was in dem zum Abdruck benützten Exemplar von der Hand ihres ersten Besitzers,
des damals eben nach achtjährigem Studium in Luthers Umgebung aus Wittenberg gekommenen Pfar-
rers Hieronymus Rauscher13 in Oberndorf, steht: ,,Diese kirchenordnung ist D. Martino Luthero zur
besichtigung zugeschickt worden mit bitt, sie mit einer vorred zu zieren. Die hat er einem rat wieder
zugeschickt und gesagt, sie schmeck zu sehr nach dem bapsttum, könnt sie nit approbiren.“
Dem Pfarrer wurden zwei Kapläne beigegeben. Ein katholisch gesinnter Teil der Stadtbevölkerung
durfte die Messe noch in der vor der Stadt gelegenen Kilianskirche lesen lassen, bis diese 1543 oder 1544
abbrannte.
In der zum Schweinfurter Lcindgebiet gehörigen Pfarrei Zell (mit der Tochterkirche Weipoltshausen)
wurde gleich 1543 die Reformation durchgeführt. Oberndorf, eine Filiale der Würzburger Pfarrei Grafen-
rheinfeld, wurde davon getrennt und 1544 verselbständigt. In Kronungen und in seiner Tochterkirche
Kutzberg, wo Schweinfurt nur das Patronatsrecht, aber keine Hoheitsrechte besaß, konnte die Stadt frei-
lich gegen den Landesherrn, den Bischof von Würzburg, nicht durchdringen14. Dagegen war in dem ritter-
schaftlichen Euerbach (unter dem Herrn von Steinau), dessen Patron die Stadt war, bis sie das Recht
1599 an den Grundherrn verkaufte, der dortige Pfarrer schon um 1530 evangelisch geworden15.
Den ganzen kirchlichen Besitz übernahm die Stadt. Das Karmeliterkloster wurde 1542 an die Stadt
übergeben, ging im Stadtverderben 1554 aber völlig zugrunde16. Die Pfarreinkünfte konnte die Stadt
nach langen Verhandlungen 1562 vom Stifte Haug gewinnen17. Die Geistlichen erhielten feste Gehälter.
Die Führung von Tauf-und Traubüchern ordnete die Kirchenordnung von 1543 an. Vorhanden sind
die Kirchenbücher - angesichts der Zerstörung der Stadt im Jahr 1554-begreiflicherweise erst seit 1555.
Im Schmalkaldischen Krieg forderte der Kaiser bei seinem Durchzug die Aufkündigung der Vogtei
und Schutzherrschaft beim Landgrafen. Dafür wurde Pfalzgraf Friedrich II. von der Pfalz Schutzherr18.
Bei dieser Gelegenheit wurde von seinem Landesherrn Sutel auf ein Amt in Göttingen abgerufen19.
Es ist bei der Art der Schweinfurter Kirchenordnung begreiflich, daß die Annahme des Interims
wenigstens liturgisch der kurz vorher noch geraume Zeit von spanischen Truppen besetzten Stadt keine
besonderen Schwierigkeiten bereitete. Im übrigen verhielt sie sich freilich gegen die kaiserliche Religion
ablehnend. Sie scheint nur das Fastengebot befolgt zu haben20.
Während des markgräflichen Krieges besetzte 1553 Markgraf Alcibiades die Stadt. Seine verbün-
deten Gegner - Würzburg, Bamberg, Nürnberg und Braunschweig - belagerten ihn und brachen nach
seinem Abzug am 12. Juni 1554 in die Stadt ein, die sie nun bis auf 9 Hütten restlos niederbrannten.
10 Benützt wurde dazu anscheinend die zweite Ausgabe von 1543, von der sich noch ein Stück in der Stadtbibliothek
Schweinfurt befindet. 11 Zöckler, Vesper in: BE 20, 594Jf.
12 Drews, Mette, in: RE 13, 33ff. - Braun 188. - H. Goltzen, Der tägliche Gottesdienst, in: Leiturgia 3,
156. 169 u. ö.
13 Hofprediger in Neuburg a. d. D. (M.Weigel, Beiträge zur Geschichte des... Rauscher, in: ZbKG 13 [1938]
151-175). 11 Schöffel 251-257. 15 Schöffel 254. 16 Schöffel 229.
17 Schöffel 260. 18 Schöffel 268f. 272. 19 Schöffel 2 6 9 . 20 Schöffel 274.

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