Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0052
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Augsburg

liebe Gotes und des nächsten, zuo trost und hoff-
nung, die ewigen güter Gottes zuo besitzen, täglich
iebet und brauchet.
Weliche stuck noch heut zuo tags si, die bäpsti-
schen, in irer abgöttischen meß inen zuo selbst
schanden für und für in unverstand mißprauchen.
Zum ersten: Für die apostolischen leer singen oder
lesen si (auch in unbekanter zungen) etlich versus
aus den psalmen zum introit, darnach die epistel
und das evangelion etc.3.
Zum 2.: Für die gemainschaft, handraichung,
cohect oder steur der armen singen oder lesen si
collectas, das ist bestellte gebet, damit die meß in
schwank bracht ist, wie sie selbest sagen: Collecta
facit missam4.
Zum 3.: Für die brotbrechung, das ist für das
nachtmal des Herren, understeen si sich mit ver-
kerter ordnung und höchster gotslesterung noch
ainest den leib und das bluot Christi für lebendig
und tot aufzuoopfern.
Zum 4.: Das gebet, so für meniglich in gemain ge-
schehen soll, stellen sie auf besondere, bestimpte
ort, zeit, person, handlung etc.5, darvon si nutz und
genieß haben, dannenher das meß frümmen6 kumbt
und dem römischen bischof zuo ainem jarmarkt
worden ist.
Also, christlicher leser, hast du bericht, das dises
früegebet nicht menschlich dicht ist, sonder in der
3 Gemeint ist damit der erste, der sog. Wortteil der
Messe, die alte Missa catechumenorum.
4 Kollekten sind vor allem die Gebete unmittelbar vor
der Epistellesung in der Messe (H.L. Kulp, Das
Gemeindegebet, in: Leiturgia 2, 382-399. - Jung-
mann 1, 478-499). Dazu gehört zunächst nur eine
Kollekte. Doch konnten auch mehrere aneinander
gereiht werden. Solche zusätzliche Gebete nach der
Absicht eines Gläubigen konnten sowohl bei ohne-
hin schon zu lesenden wie bei neu bestellten Privat-
votivmessen gegen Bezahlung bestellt werden
(Jungmann 2, 30ff. - K. Jos.Werk, Das Meßsti-
pendium, in: Theologische Quartalschrift 136 [1956]
bes. 207ff. 211ff. 215f.). Der hier genannte, sonst
nicht nachweisbare Satz war wohl eine Redensart in
den Kreisen des damaligen Priesterproletariats
(Matth. Simon, Movendelpfrüende und landesherr-
lisches Kirchenregiment, in: ZbKG 26 [1957] 28. -
Heinr. Werner, Der niedere Klerus am Ausgang
des Mittelalters, in: Deutsche Geschichtsblätter 8
[1907] 201-224) und hatte den Sinn von „Kollekten
machen die Messe erst fett“.
5 Gemeint sind die Messen und bes. die Privatvotiv-

ersten apostolischen kirchen den aposteln und
glaubigen breuchlich, wie dann fast in allen episteln
der apostel und iren geschichten überal scheinet,
der wegen dises frügebet nicht unbillich anstat ainer
abgöttischen, verfürischen bäpstischen, erdichten
meß denen, so durch den alten, waren christenlichen
und apostolischen gelauben, durch das wort Gottes
und das evangelium erbauet sein, gehalten soll wer-
den so lang, bis die andern, durch die gnad und Gaist
Gottes erleucht, auch herbeikommen und mit uns
in ainigkait des waren glaubens erwachsen, in brü-
derlicher liebe zuonemen und in hoffnung des ewigen
lebens bis an das end beharren mögen. Amen.
Am ersten, so die
gemain Gottes, zuo ainem konnnen ist,
hept an der diener des evangelii zu sprechen:
Damit, das wir unser früegebet dem allmechtigen
Got dester angenemer und inniger aufopfern und
fürtragen mögen, so kniet nider und rainiget euer
herz durch ain offne beicht und bekantnus euerer
sünd und sprecht von grund eueres herzen:
Offne beicht7:
O Herr, allmechtiger Gott, der du meines herzen
erforscher, meiner nieren brüfer, meiner lusten und
messen, die auf den Wunsch einzelner Personen zu-
gunsten eines bestimmten Anliegens gelesen wer-
den (Hartmann 316—319. - Braun 364f.), außer-
dem aber auch die Einfügung von Gebeten in die
Orationsreihe oder in die betreffende Memento-Stelle
des Meßkanons oder eine andere Erwähnung inner-
halb einer an sich schon gelesenen Messe (Jung-
mann 1, 494ff.; 2, 207. 305 ff. - Werk [vgl. Anm. 4]).
- Der römische Bischof war dabei nur insoweit be-
teiligt, als er das alles stillschweigend zuließ.
6 = bestellen, in Auftrag geben (Schmeller 1, 819f.-
Grimm 4 1 1, 246. 326 [wo das entscheidende Wört-
lein „lassen“ fehlt]).
7 Eine solche Rüsthandlung steht zwar am Anfang
jeder Messe, nicht aber des mittelalterlichen Predigt-
gottesdienstes. Dieser kennt zwar auch eine Offene
Schuld samt Absolution. Sie steht dort aber in der
verschiedensten Reihenfolge seiner Bestandteile
immer hinter der Predigt ( Surgant f. 84. 87. 119f.).
Auch Zwingli hatte sie im Predigtgottesdienst hinter
der Predigt (Richter 1, 136). Die Stellung dieser
Rüsthandlung an dieser Stelle stammt also aus der
Messe, wie das verschiedene deutsche Messen be-

36
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften