Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (13. Band = Bayern, 3. Teil): Altbayern: Herzogtum Pfalz-Neuburg, Kurfürstentum Pfalz (Landesteil Oberpfalz), Reichsstadt Regensburg, Grafschaft Ortenburg, Herrschaft Rothenberg, Herrrschaft Wolfstein — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1966

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30630#0399
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Ordnung17 ist außerordentlich bezeichnend für die kirchliche Lage in Regensburg. Der Ge-
meinde und ihren Führern war es ernst mit ihrem Christentum. Das Schwergewicht lag dabei, wie schon
die Raumverteilung der verschiedenen Punkte zeigt, auf der reinen Lehre. Schon 1555 hatte Martin
Schalling eine ernste Auseinandersetzung mit Gallus gehabt. Ihm sollte diese Ordnung wohl besonders
zur Warnung dienen. 1558 mußte er bei einem neuen Zusammenstoß die Stadt verlassen18.
Regensburg sollte ja in den nächsten Jahren durch seinen Pfarrer in den theologischen Auseinander-
setzungen der damaligen Zeit beinahe eine Stellung einnehmen, wie sie während des Interims Magdeburg
innegehabt hatte, allerdings für eine Richtung innerhalb des Luthertums, der nicht die Zukunft gehörte.
1562 bekam Gallus noch in ihrem damaligen Führer Matthias Flacius einen Kampfgenossen, als
dieser für einige Jahre Aufenthalt in Regensburg nahm. Die Losung war: ,,Feinde ringsum!“ Es gab
kaum eine geistige Front, auf der in Regensburg nicht scharf gekämpft wurde, auch noch, nachdem
1566 die Stadt den weiteren Aufenthalt des Flacius dem Kaiser gegenüber nicht mehr durchsetzen
konnte19.
Bedeutsam dabei war, daß die oberste Entscheidung darüber, welche Lehre schriftgemäß sei, der
Rat als Vertreter der Kirchengemeinde sich selbst vorbehalten hatte. Dahinter stand natürlich Hiltner,
der in dieser Kirchenregimentsordnung nicht weniger entscheidend war als Gallus.
Ein sehr bezeichnendes Schlaglicht auf die Lebhaftigkeit, mit der solche Auseinandersetzungen auch
im Volk besprochen und geführt wurden, wirft der Erlaß vom 1. Juli 156620. Er wendet sich gegen Kal-
vinisten und Schwenkfelder. Wenn er dann das Disputieren über diese Frage verbot, so geschah das aus-
drücklich gegen diese Seite, also z. B. Anhänger der Richtung des 1558 entlassenen Martin Schalling.
Man darf daher annehmen, daß die Bürgerschaft Regensburgs nicht geschlossen auf der Seite ihres
Superintendenten stand.
Daß über der Lehre das Leben nicht vergessen war, zeigt der ständige Kampf des Gallus gegen den
Wucher. So hatte die Stadt z. B. auf sein Betreiben 1554 trotz der kaiserlichen Erlaubnis einen reinen
Leihzins von 5% untersagt21.
Sehr deutlich machen das auch die zwischen Gallus und dem Rat vom 14. März 1560 geschlossenen
Vergleichsartikel22. Sie wurden anläßlich einer Berufung des Gallus nach Magdeburg geschlossen und soll-
ten diesen durch ein weiteres Entgegenkommen in Regensburg halten. Sie bestehen, äußerlich gesehen,
aus zwei scheinbar nicht miteinander in Verbindung stehenden Teilen. Dabei wird aber im ersten Teil
der zweite ausdrücklich als dazugehörig bezeichnet.
Der erste enthält die Vereinbarung zwischen dem Rat und Gallus und bildet eine gewisse Ergänzung
zur Ordnung des geistlichen Amts, der Kirchenregimentsordnung. Dem Superintendenten und seinen
17 Unsere Nr. III 16.
18 Siehe oben S. 268! - Er war in Regensburg nicht Diakon (= „Stadtvikar“ [Dollinger, Evangelium 314]),
sondern der jüngere Prediger (München Staatsbibliothek cgm 1315f. 58v—61. 332v—337v. — NLA Personen
XXI 74 [Schalling in Regensburg]).
19 Flacius (Latinisierung des ursprünglichen Namens Vlacich): Geb. Albona (Jugoslawien; daher Illyricus genannt)
1520. —1544 Wittenberg Professor der hebräischen Sprache, 1547 im Schmalkaldischen Krieg Magdeburg ohne Amt,
leidenschaftlicher Kämpfer gegen das Interim, 1554 Jena Professor des Neuen Testaments, 1561 als Irrlehrer
entlassen, ohne Amt in Regensburg, 1566 Antwerpen, 1567 Straßburg ohne Amt, 1573 Frankfurt ohne Amt -
† 1575 (RE 6, 82-92. - ADB 7, 88ff. - RGG3 2, 971. - Preger. - Schottenloher 6322-6372. 54586-54591. -
Zur Regensburger Zeit bes.: Preger 228-258. - Dollinger, Evangelium 310-322. - Schottenloher, Buch-
gewerbe (darin: Der Drucker Hch. Geißler im Dienst der Flazianischen Kirchenrichtung: S. 30-36; N. Gallus
u. M. Flacius, Zusammenstöße mit den Höfen von Sachsen und Bayern: S. 36-54; Verzeichnis der Druck-
schriften: S. 208-252 [diese auch bei Preger 561—565]).
20 Unsere Nr. III 18.
21 Gallus Piiij. - Loy, Wucherstreit 14ff. - Simon, EKGB 329. - Dollinger, Evangelium 354ff.
22 Unsere Nr. III 17. - Die Verhandlungen darüber: RStadtA Eccl. I 11, 99a-l).

379
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften