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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (13. Band = Bayern, 3. Teil): Altbayern: Herzogtum Pfalz-Neuburg, Kurfürstentum Pfalz (Landesteil Oberpfalz), Reichsstadt Regensburg, Grafschaft Ortenburg, Herrschaft Rothenberg, Herrrschaft Wolfstein — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1966

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https://doi.org/10.11588/diglit.30630#0574
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Herrschaft Rothenberg

get er uns von allen sunden, nimbt uns in die gna-
denreiche kindschaft Gottes und sagt uns zu das
ewige leben. Im leben gibt er uns form und weis
durch die predigt des gesetzes und evangelii, wie wir
uns gegen Gott und dem nechsten halten sollen,
sagt: ,,Liebe Gott, deinen Herren, von ganzem her-
zen und deinem nechsten als dich selbst! Was ihr
wolt, das euch die menschen ton sollen, das tut ihr
inen auch! Das ist das ganze gesetz und alle pro-
pheten.“ Und wie wir uns in der anfechtung, wider-
wertigkeit, verfolgung, angst und trübsal trösten
sollen, lehrt Christus, Matthei am 11. cap. [28ff.]:
,,Kompt zu mir alle, die ihr muheselig und beladen
seit; ich will euch erquicken. Nemet auf euch mein
joch und lernet von mir; den ich bin sanftmutig und
von herzen demütig. So werdet ihr ruhe finden für
eure seele.“ Im sterben gibt er uns auch einen herr-
lichen trost. Joan. 8. cap. [52]: ,,So jemand mein
wort wird halten, der wird den tod nicht sehen ewig-
lich“; denn, wo wir am letzten ende Gottes wort er-
greifen und darauf von hinnen scheiden und befeh-
len unsere seel mit Christo dem lieben Vater in seine
hände, so soll uns weder Teufel noch tod noch sund
noch helle schaden, sondern das wort soll uns führen
und bringen, da Christus selbst ist, zur rechten des
Vaters im ewigen leben. Darzu helfe uns Gott allen!
Amen.
Vermanung bei begrebnus einer jungen person
oder eines kinds.
Ihr andechtigen, lieben bruder etc. So wollen wir
uns lebendigen zum trost den schönen spruch des
buchs der Weisheit am 4. cap. [10-14] anhören, wel-
cher also lautet:
,,Der gerechte wird hinweg genommen aus diesen
leben und wird hingerückt, daß die bosheit seinen
verstand nicht verkehr noch falsche lehr seine seele
betriege; den die bösen exempel verführen und ver-
derben einem das gut, und die reizende lust ver-
kehret unschuldige herzen. Er ist bald volkomen
worden und hat viel jar erfüllet; denn seine seele ge-
felt Gott. Darumb eilet er mit ihm aus dem bösen
leben.“
Auslegung.
In disen worten zeigt der weise man ursach an,
warumb in der zeit der pestilenz viel junger leut da-

hinsterben, sagt also Gott, der ein kenner ist aller
herzen und ein erforscher aller gedanken, der weiß,
was die welt ist und wie sie handlet. So fülen wir
auch wol, was dies zeitlich leben für mühe und ar-
beit, jammer und elend hat. Wir meinen wol, von
tag zu tag frömmer zu werden. Aber die welt ist zu
bös: der ärgernis sind zu viel, die bösen exempel
gehen zu gewaltig; wir sehen und hören nichts guts.
So ist die welt so voller geistlicher stück und fuß-
eisen gelegt, daß wir nicht ein fuß ohn ein gefahr
setzen können. Dazu ist unser leib mehr den 300
krankheiten unterworfen ohn anderer zufellige be-
schwerunge, daß S. Paulus wol schreien mag Rom.
7. [24]: ,,Ich elender mensch, wer wird mich erlösen
von dem leibe dieses todes?“ das ist: von disen jam-
mer und elenden wesen. So stehet auch die seligkeit
eines menschen nicht in einem langen leben, sondern
in einem seligen sterben. Der stirbt aber seliglich, der
gern stirbt und wol stirbt. Gerne sterben bringt der
glaub; wol sterben bringen die früchte des glaubens;
denn wer in Gott vertraut und sich zu Gott alles
guten versihet und helt ihn für ein gnedigen, barm-
herzigen vater, der stirbt gerne; denn er weiß, wo-
hin er fahren solle, nemlich dem Vater in seinen
schoß. Wer auch seinen glauben durch die werk der
lieb bezeuget hat und einen christlichen wandel ge-
fürt und scheidet auf Gottes wort von dieser welt, der
stirbt wol; den wie kan der übel sterben, der wol und
christlich gelebt hat? Einem christlichen leben fol-
get ein seliger tod.
Wenn nun der allmechtige Gott ein from kind, ein
unschuldig herz, einen gerechten menschen hie auf
erden hat, der mit weltsünden noch nicht befleckt
ist, sihet und erkennet doch, daß er mit der zeit durch
böse exempel und ergernus möcht verführt werden.
So ist Gott also gütig, daß er der welt zuvorkompt
und reißet solch from kind dem Teufel aus dem
rachen, nimbt in der kindheit und jugent hinweg von
diser bösen welt in sein reich, und darzu gebrauchet
er gemeinglich der väterlichen ruten, nemlich der
pestilenz. Damit nimpt er gar vil 1000 unschuldiger
menschen in unschuld von disem jammertal, welche,
wo sie lenger lebten, von der bösen unartigen welt
ohn allen zweifel verführt wurden, wie hie der weise
man anzeigt: Raptus est, ne malitia inturbet cor
ejus. So sollen wir uns nun in solchem fall nicht groß

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