Einleitung
bischöfliche Sendgericht - von Ort zu Ort reisten, um ihre richterliche Tätigkeit auszuüben. In den einzel-
nen Dörfern sollten rechtschaffene, glaubwürdige Personen erwählt werden, die alle strafwürdigen Vergehen
nach bestem Wissen und Gewissen anzeigen sollten.111 Die Strafen reichten von Wirtshausverbot und Geld-
bußen bis hin zum Ausschluss vom Abendmahl. In seinem Schreiben, das er zusammen mit der Sendord-
nung an den Haller Rat schickte, erklärte Brenz, dass die aus dem Sendgericht einlaufenden Strafgelder
ausschließlich dem Unterhalt der Armen dienen sollten.
Ob die Regelungen der Sendordnung in dieser Form in die Paxis umgesetzt wurden, ist fraglich. Der in
der Sendordnung dargelegte synodus kollidierte nämlich in seiner dem Zwinglianismus eigenen presbyteri-
alsynodalen Verfassung mit der Vorstellung vom landesherrlichen Kirchenregiment. Mit den bereits 1527
genannten Denunzianten (accusatores publici) stand der Synodus im Gegensatz zu der für die lutherisch
orientierte Kirche typischen Konsistorialverfassung.112 Auf großes Interesse stieß Brenz’ Sendordnung
jedoch bei Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach.113 Er ließ sich die Ordnung zuschicken und forderte
Brenz zur Mitarbeit an der Neustrukturierung seiner Kirchenverhältnisse auf.114
8. Entwurf einer Gottesdienstordnung für die Haller Landgemeinde Bibersfeld 1535 (Text S. 101)
In den 1530er Jahren etablierte sich die Reformation in Schwäbisch Hall, sowohl in der Stadt selbst als auch
in ihrem ausgedehnten Landgebiet. War vor 1530 nur die Pfarrei des Dorfes Reinsberg, wo der Chronist
Johann Herolt Pfarrer war, evangelisch, so lässt sich die neue Lehre wenig später auch in Untermünkheim
und 1532 in Ilshofen nachweisen. Die Haller Dörfer Großaltdorf, Haßfelden, Enslingen, Geislingen, Gai-
lenkirchen, Jungholzhausen, Michelfeld, Orlach, Tüngental, Untersontheim und Westheim wurden zwi-
schen 1535 und 1542 ebenfalls evangelisch.115
Die Kirche des Dorfes Bibersfeld, das ca. 6 km südwestlich von Schwäbisch Hall liegt und zum Land-
gebiet der Reichsstadt gehörte, unterstand zunächst dem Abt des Benediktinerklosters Murrhardt, bis das
Patronatsrecht im Zuge der Reformationseinführung in Württemberg nach 1534 an Herzog Ulrich fiel, der
es zusammen mit Schwäbisch Hall ausübte.116 Für Bibersfeld hatte Brenz 1535 eine eigene Gottesdienstord-
nung entworfen. Der mit zahlreichen Streichungen und Korrekturen versehene Entwurf regelt den Haupt-
gottesdienst an Sonn- und Feiertagen und bricht mit der Überschrift „Von der Tauff“ ab, ohne die Bestim-
mungen dieses Abschnitts auszuführen. Der Text blieb ein Fragment.
Die Bedeutung der Bibersfelder Gottesdienstordnung für die Reformation in Schwäbisch Hall liegt
darin, dass sie den Ablauf des sonntäglichen Hauptgottesdienstes in einer Haller Landgemeinde vor Augen
führt. Im Gegensatz zum Gottesdienst an den Stadtkirchen St. Michael und St. Katharina wurde in Bibers-
feld der lateinische Schülergesang durch deutschen Gemeindegesang ersetzt. Gegenüber den Frühmess- bzw.
Gottesdienstformularen von 1526 (Nr. 1) und 1527 (Nr. 2) findet sich in der Bibersfelder Ordnung eine
deutliche Trennung von Wortgottesdienst und Abendmahl. Der für Bibersfeld skizzierte Gottesdienstablauf
stellt eher die Vorlage für den württembergischen Abendmahlsgottesdienst dar, wie er in der württember-
111 Maurer/Ulshöfer, Brenz, S. 77f.; Köhler, Bren-
tiana, S. 82f.; Hartmann/Jäger, Brenz I, S. 336ff.,
396; RE 3, S. 381; Kantzenbach, Theologie, S. 27f.;
Koeniger, Brenz, S. 219f.; Brecht, Anfänge, S. 343;
ders., Ordnung, S. 15f.
112 Koeniger, Brenz, S. 222f. In Konstanz, wo die Refor-
mation der zwinglianischen Ausrichtung folgte, wurden
die Vergehen ebenfalls mittels Denunzianten, den soge-
nannten Angebern, ermittelt, siehe unten, S. 343.
113 Koeniger, Brenz, S. 222f.
114 Ebd.
115 Maisch, Krise, S. 88. Herolt, Chronik, S. 190: Anno
domini 1540 hat ein rath den priestern unnd pfarrherrn uff
dem landt, so weit ir landtschafft geth, welche bis anher
noch mesz geleszen, verboten, das sie kein mesz mer sollen
leszen, sonnder sich nach der Hällischen kirchen richten.
Dem altgläubigen Gelbinger Pfarrer und Chronisten
Georg Widmann wurde 1540 verboten, weiterhin die
Messe zu lesen. 1541 wurde er erneut ermahnt, die
Reformation in Gelbingen einzuführen.
116 Vgl. Sehling, EKOXVI, S. 20; Weismann, Gottes-
dienstordnung, S. 13.
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bischöfliche Sendgericht - von Ort zu Ort reisten, um ihre richterliche Tätigkeit auszuüben. In den einzel-
nen Dörfern sollten rechtschaffene, glaubwürdige Personen erwählt werden, die alle strafwürdigen Vergehen
nach bestem Wissen und Gewissen anzeigen sollten.111 Die Strafen reichten von Wirtshausverbot und Geld-
bußen bis hin zum Ausschluss vom Abendmahl. In seinem Schreiben, das er zusammen mit der Sendord-
nung an den Haller Rat schickte, erklärte Brenz, dass die aus dem Sendgericht einlaufenden Strafgelder
ausschließlich dem Unterhalt der Armen dienen sollten.
Ob die Regelungen der Sendordnung in dieser Form in die Paxis umgesetzt wurden, ist fraglich. Der in
der Sendordnung dargelegte synodus kollidierte nämlich in seiner dem Zwinglianismus eigenen presbyteri-
alsynodalen Verfassung mit der Vorstellung vom landesherrlichen Kirchenregiment. Mit den bereits 1527
genannten Denunzianten (accusatores publici) stand der Synodus im Gegensatz zu der für die lutherisch
orientierte Kirche typischen Konsistorialverfassung.112 Auf großes Interesse stieß Brenz’ Sendordnung
jedoch bei Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach.113 Er ließ sich die Ordnung zuschicken und forderte
Brenz zur Mitarbeit an der Neustrukturierung seiner Kirchenverhältnisse auf.114
8. Entwurf einer Gottesdienstordnung für die Haller Landgemeinde Bibersfeld 1535 (Text S. 101)
In den 1530er Jahren etablierte sich die Reformation in Schwäbisch Hall, sowohl in der Stadt selbst als auch
in ihrem ausgedehnten Landgebiet. War vor 1530 nur die Pfarrei des Dorfes Reinsberg, wo der Chronist
Johann Herolt Pfarrer war, evangelisch, so lässt sich die neue Lehre wenig später auch in Untermünkheim
und 1532 in Ilshofen nachweisen. Die Haller Dörfer Großaltdorf, Haßfelden, Enslingen, Geislingen, Gai-
lenkirchen, Jungholzhausen, Michelfeld, Orlach, Tüngental, Untersontheim und Westheim wurden zwi-
schen 1535 und 1542 ebenfalls evangelisch.115
Die Kirche des Dorfes Bibersfeld, das ca. 6 km südwestlich von Schwäbisch Hall liegt und zum Land-
gebiet der Reichsstadt gehörte, unterstand zunächst dem Abt des Benediktinerklosters Murrhardt, bis das
Patronatsrecht im Zuge der Reformationseinführung in Württemberg nach 1534 an Herzog Ulrich fiel, der
es zusammen mit Schwäbisch Hall ausübte.116 Für Bibersfeld hatte Brenz 1535 eine eigene Gottesdienstord-
nung entworfen. Der mit zahlreichen Streichungen und Korrekturen versehene Entwurf regelt den Haupt-
gottesdienst an Sonn- und Feiertagen und bricht mit der Überschrift „Von der Tauff“ ab, ohne die Bestim-
mungen dieses Abschnitts auszuführen. Der Text blieb ein Fragment.
Die Bedeutung der Bibersfelder Gottesdienstordnung für die Reformation in Schwäbisch Hall liegt
darin, dass sie den Ablauf des sonntäglichen Hauptgottesdienstes in einer Haller Landgemeinde vor Augen
führt. Im Gegensatz zum Gottesdienst an den Stadtkirchen St. Michael und St. Katharina wurde in Bibers-
feld der lateinische Schülergesang durch deutschen Gemeindegesang ersetzt. Gegenüber den Frühmess- bzw.
Gottesdienstformularen von 1526 (Nr. 1) und 1527 (Nr. 2) findet sich in der Bibersfelder Ordnung eine
deutliche Trennung von Wortgottesdienst und Abendmahl. Der für Bibersfeld skizzierte Gottesdienstablauf
stellt eher die Vorlage für den württembergischen Abendmahlsgottesdienst dar, wie er in der württember-
111 Maurer/Ulshöfer, Brenz, S. 77f.; Köhler, Bren-
tiana, S. 82f.; Hartmann/Jäger, Brenz I, S. 336ff.,
396; RE 3, S. 381; Kantzenbach, Theologie, S. 27f.;
Koeniger, Brenz, S. 219f.; Brecht, Anfänge, S. 343;
ders., Ordnung, S. 15f.
112 Koeniger, Brenz, S. 222f. In Konstanz, wo die Refor-
mation der zwinglianischen Ausrichtung folgte, wurden
die Vergehen ebenfalls mittels Denunzianten, den soge-
nannten Angebern, ermittelt, siehe unten, S. 343.
113 Koeniger, Brenz, S. 222f.
114 Ebd.
115 Maisch, Krise, S. 88. Herolt, Chronik, S. 190: Anno
domini 1540 hat ein rath den priestern unnd pfarrherrn uff
dem landt, so weit ir landtschafft geth, welche bis anher
noch mesz geleszen, verboten, das sie kein mesz mer sollen
leszen, sonnder sich nach der Hällischen kirchen richten.
Dem altgläubigen Gelbinger Pfarrer und Chronisten
Georg Widmann wurde 1540 verboten, weiterhin die
Messe zu lesen. 1541 wurde er erneut ermahnt, die
Reformation in Gelbingen einzuführen.
116 Vgl. Sehling, EKOXVI, S. 20; Weismann, Gottes-
dienstordnung, S. 13.
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