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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0557
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Einleitung

Anno 1546 ward von den burgern zu Leutkirch ein auffstand der ursach, das sie ein evangelischen prediger
haben wolten, solches auch behauptet und einem evangelischen prediger bekommen. Und haben die burger die
sache dahin gebracht, das der papistische pfarrer Udalricus Freyherr sambt der gantzen priesterschafft auß der
stat gewichen und sich zwai gantzer jahr außer der stat zu Wuchzenhofen auffgehalten, die sacramenta alda
administrirt und gepredigt. Das hay. sacrament ist ine der cleuß aber bei den schwestern (welche riuwigclich
sitzen bliben) auß behalten worden, und damit alle fest von herrn Georg Degerlin, decan und pffarrern zu
Reichenhofen, providirt. Haben also die evanglischen die pfarrkirchen zwai gantzer jahr inngehabt. Nach ver-
fließung 2 jahren (von anno 46 inn 48) ward durch zuthun herrn prelaten zu Weingarten, abbt Gerwigen, die sach
dahin verglichen, das die evangelischen die pfarrkirchen widerumb geraumbt, und hat mann den abendt S. Jacobi
maioris die erste vesper inn der pfarrkirchen gesungen.23
In Leutkirch wurde also zwischen 1546 und 1548 evangelischer Gottesdienst gefeiert, der - bedingt durch
die Herkunft der Prediger aus Konstanz und Memmingen - wohl oberdeutsch ausgerichtet war. 1547
verkaufte das Kloster Stams sein Patronatsrecht an der Martinspfarrkirche an Abt Gerwig Blarer von
Weingarten, auch in der Hoffnung, dass die Abtei allein durch ihre größere Nähe zu Leutkirch das Vor-
dringen der Reformation in der Reichsstadt noch abwenden könne.24

4. Neuorganisation des evangelischen Kirchenwesens nach dem Interim
1. Vertrag zu den Rechten der katholischen und evangelischen Gemeinde 27. April 1562 (Text S. 540)
Infolge des Augsburger Interims waren die altgläubigen Geistlichen aus dem der Landvogtei unterstehen-
den Ort Wuchzenhofen nach Leutkirch zurückgekehrt und feierten wieder Messen in der Pfarrkirche.
Erfolglos bemühte sich die evangelische Gemeinde darum, ihre Gottesdienste weiterhin in der Pfarrkirche
feiern zu können, musste jedoch schließlich mit der Spitalkirche Vorlieb nehmen.25 Nach dem Religions-
frieden von 1555 setzte sich der Magistrat - unterstützt vom Herzogtum Württemberg und von den Reichs-
städten Isny und Ravensburg - wiederholt für die Evangelischen ein: Am 31. Juli 1558 entsandte er eine
Deputation zu Abt Gerwig Blarer von Weingarten, dem Patronatsherrn von St. Martin, und forderte die
den Evangelischen im Religionsfrieden verbrieften Rechte ein.26 In der gleichen Sache machte er auch eine
Eingabe auf dem Kreistag.27

23 StadtA Leutkirch B 5. Nach Auskunft des Memoriales
wurde dieser Bericht von Pfarrer Michael Maucher ver-
fasst. Vgl. hierzu Krimmer, Kirche, S. 243f. Auch die
Chronik des Leutkircher Franziskanerinnenklosters
berichtet über die Ereignisse: Item in dem Jar, da man
zahlt 1545, da hat die Lautterey [= Lutherei, i.e. Refor-
mation] alhie in der stat angefangen und sind die weber und
das gemain bobel folck sind [!] dem herr burgermayster für
das haus zogen und hand mit gewalt einen bredicanten wel-
len haben. Und ist das gemain folck eben gar auffrierisch
geweßen, und ist zu der selbigen zeyt der alt Melcher Frey-
her burger mayster geweßen und mayster Ulrich Freyher ist
da zu mall pfarher alhie geweßen und hat man doch den
herr pfarer und die ganzen priesterschafft auß der stat ver-
triben, das zway ganzen jar kain priester mer hie geweßen
ist, und hat man in zway ganzen jaren nie kain meß mer

alhie gehalten, und ist der gottsdinst 2 ganzen jar gar ab
gethan geweßen, das die predicanten und die Lautterischen
die pfarkierche in gehept hand zway ganze Jar, Hösch,
Chronik, S. 33f.; vgl. Angst, Frauenkloster, S. 43.
24 Brecht/Ehmer, Reformationsgeschichte, S. 185;
Roth, Geschichte I, S. 202fII, S. 42-56; Schäfer,
Entwicklung, S. 223; Angst, Reichspfarrei, S. 43.
25 Kramer, Simultanverhältnisse, S. 194; Schäfer, Ent-
wicklung, S. 223. Nach dem Bericht über die Einführung
der Reformation (StadtA Leutkirch A 399): Nach auß-
ganng der zway jaren habens widerumben ein evangelischen
prediger angenommen, und ist im das spittalkierchelin ein-
geraumbt worden.
26 StadtA Leutkirch A 399, vgl. Roth, Geschichte I,
S.217-219.
27 Ebenfalls StadtA Leutkirch A 399.

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