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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 1. Teilband): Straßburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30661#0672
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Straßburg

Forma der Vermanung bei junger Kinder Leiche
Dieweil es sich aber oftermals begibt, Das auch bei
junger Kinder Leichen eine zimliche anzal Volcks
von Mann- und Weibspersonen sich findet, Damit
dann dieselbe nit one Trost und Unterricht auß Got-
tes Wort gelaßen Und aber die Prediger mit zu vie-
len Predigten ohne Not nit beschwäret werden, So
mag in solchem Fall nachfolgende Vermanung und
Gebett der anwesenden Gemeine fürgelesen werden:
Geliebte im Herrn, Wir haben abermals unserer
Christlichen Mitglieder eines, ein junges Knäblein
(oder ein junges Töchterlein), biß hieher zu seinem
Rhubettlein begleitet, da es nach dem Leibe der all-
gemeinen Aufferstehung der Todten erwarten soll.
Bei solchem Leichgang aber sollen wir uns billich
erinnern: Erstlich, Wie gebrechlich, elend, kurtz
und jämerlich unser und aller Menschen zeitliches
Leben seie, Welches alle Augenblick nit allein aller-
lei schröcklichen Trübsalen und Jamer unterworffen
ist, sondern auch des zeitlichen Todes gewertig sein
muß, Davon der heilige Job sagt am 14. cap. [1-2]:
Der Mensch, vom Weib geborn, lebet ein kurtze zeit
und ist voll Unruhe, Gehet auff wie ein Blum und
fället ab, Fleucht wie ein Schatten und bleibet nicht.
|273| Wir sollen aber darbei nicht vergessen die Ur-
sach des Todes und des grossen, unsäglichen Jamers
und Elends der Menschen, nemlich die Sünde, Da-
von S. Paulus zun Römern am 5. [12] lehret, Das
durch einen Menschen die Sünd in die Welt kommen
sei und der Tod durch die Sünde, und seie also der
Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil
sie alle gesündiget haben. Und am 6. Cap. [23]: Der
Tod ist der Sünden Sold. Und Moses, der Mann
Gottes, saget im 90. Psalmen [7-8]: Das macht dein
Zorn, das wir so vergehen, und dein Grimm, das wir
so plötzlich dahin müßen. Dann unser Missethat
stellest du für dich, unser unerkannte Sünde ins
Liecht für deinem Angesicht.

590 Vgl. 1Kor 15,55.
591 Vgl. Joh 12,24.
592 Joh 11,25.

Nicht weniger sollen wir auch bedencken, Wadurch
wir von Sünd und Tode mögen erlöset werden, Nem-
lich allein durch unsern einigen Heiland Jesum Chri-
stum, Welcher darumb Menschliche natur an sich
genommen, Das er mit seinem Tode Gottes gerech-
ten und strengen Zorn wider die Sünde versöhnen,
dem Tode den Stachel nemmen590 und vertilgen und
uns widerumb ewiges Leben und Gerechtigkeit gnä-
diglich schencken wolle, Wie die Epistel an die He-
breer zeuget, Cap. 2 [14], Das er durch den Tode die
Macht genommen habe dem, der |274| des Todes ge-
walt hatte, das ist dem Teufel.
Insonderheit aber sollen wir bei den Leichen be-
trachten die herrliche und siegreiche Aufferstehung
Christi, unsers Erlösers, Welcher den gantzen Sab-
bath uber im Grab gelegen und am dritten Tage wi-
der aufferstanden ist, Das er unsere todte und be-
grabne Leibe auß dem Tode und Staub der Erden zu
dem Sabbath des ewigen Lebens, Freud und Herr-
ligkeit widerumb aufferweckete. Dann gleich wie die
Samen der Früchte in die Erden geworffen, ob sie
wol darinn verfaulen, dannoch auß der Erden wider
herfür wachsen591, Also unsere verwesliche, ab-
schewliche, schwache, natürliche Leibe in die Erden
gesäet und begraben, ob sie wol verfaulen und zur
Erden widerumb werden, So bleiben sie doch nicht
im Grab, Sondern werden von unserm Herrn Jesu
Christo, der das Leben und die Aufferstehung
ist592, widerumb lebendig gemacht, Das sie unver-
weslich, schön und widerumb ihrer vorigen Seelen
wohnung werden, Und mit Göttlichem Liecht, Weis-
heit, Gerechtigkeit und Leben erfüllet werden, Wie
geschrieben steht, 1. Cor. 15 [42-44]: Es wirdt ge-
säet verweslich und wird aufferstehen unverweslich.
Es wird gesäet in Unehr und wird aufferstehen in
Herrligkeit. Es wird gesäet in Schwachheit |275| und
wirdt aufferstehen in Krafft. Es wirdt gesäet ein
Natürlicher leib und wird aufferstehen ein Geistli-
cher leib.
Letzlich sollen wir uns auch zu gemüt führen,
Weil nicht allein Alte und erlebte593, sondern auch

593 Altgewordene, Verlebte, s. Grimm, DWb 3, Sp. 895 und
DRW 3, Sp. 239.

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