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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0451
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3. Predigten bei der Einführung der Reformation 1566

ρDas geschicht aber, wann für sich selbst auch die
Rechtgleubigen zum ersten in iren eigen Hertzen der
Göttlichen Warheit auß Gottes Wort zum besten
versichert sein und für ir person ire eigne Gewissen
mit Menschen satzungen nicht verletzen, so dem
Wort Gottes zuwider sein unnd neben demselben
nicht bestehn mögen. Dann einmal sollen Gott, dem
Herren, und seinem Wort alle menschliche Ordnun-
gen und Satzungen weichen, σweil man Gott mehr
zugehorsamem schuldig ist dann den Menschen und
τime vergebenlich mit Menschen satzungen gedienet
würdt.
υDarnach, in dem, das Gott weder gebotten noch
verbotten hat und auß menschlicher Andacht one
Gottes Wort eingefürt, soll ein Christ also seiner
Freyheit sich gebrauchen, das er in dem allen nicht
allein die schwachgleubigen, sonder auch die, so
noch dem Wort sich auff das hefftigest widersetzen,
für augen habe und |A 4r| sich bevfleissige, darmit die
schwachgleubigen nicht geergert und noch schwe-
cher werden, Deßgleichen auch die Verfolger nicht
ursach gewinnen oder ein schein10 haben, dem Wort
Gottes übel zureden. φAuß wölchen Gott auch zu
seiner zeit kan ir ettlich durch die Krafft seines hei-
ligen Geists zu seiner Erkanntnuß ziehen, χWie am
H. Apostel Paulo zusehen ist, wölcher nicht ein
schwachgleubiger, sonder ein grosser, hefftiger Ver-
folger der Christenheit gewesen ist, aber unwis-
sendt11. Auß dem hat der Herr Christus, da er (wie
Lucas zeuget) schnaubete mit trewen12 und morden
wider die Jünger des Herren13, nicht nur ein Schäff-
lin seiner Herde, ψsonder auch ein trewen, vleissigen,
arbeitsamen Hirten und Apostel gemacht, wölcher
im Reich Gottes mehr gearbeitet hatt dann der
Apostel keiner.

ρ Wie sich die Christen gegen den schwachgleubigen und
Widersachern verhalten sollen.
σ Acto. 4 [richtig: Acto. 5] [29].
τ Math. 15 [9].
υ Die Christen sollen ir Freyheit nicht mißbrauchen.
φ Auß den Verfolgern mögen noch fromme Christen wer-
den.
χ Acto. 9 [1-19].
ψ 1. Cor. 15 [9-10].
ω 1. Cor. 9 [20-22].

Also ist kein zweiffel, das auch zu diser unser zeit vil
auß lautterm Unverstand dem heiligen Evangelio
sich widersetzen. Und seind dessen von iren Lehrern
berichtet14, sie thon hiermit Gott ein Dienst daran,
unangesehen, das sie ires eigen Glaubens auß Gottes
Wort nicht Rechenschafft geben könden, sonder sich
ledig und allein auff ire Christliche Vorelter zie-
hen15, so auch fromm Leut gewesen, und also ver-
hoffen, wie auch sie selig zuwerden.
Da nun dise Leut durch Gottes Gnad zu der war-
hafftigen erkanntnuß Christi gezogen (wie sie dann
nicht auff irem ungewissen Wohn bleiben, sonder
sich das Wort Gottes underweisen lassen, und ire
Schwachheit |A 4v| nicht mißbrauchen sollen), wer-
den sie gemeinlich die aller besten und eiferigsten
Christen, Dann, so hart haben sie auff Menschen
satzungen nicht gehalten, sie halten hernach noch
vil steiffer auff das einfaltig, rein, unverfelscht Got-
tes Wort, dem sie glauben, das sie lieben, bekennen
und dem Herrn von hertzen darfür dancksagen.
Darmit nur sollicher Leut dem Herrn vil gewunnen
wurden, will die notturfft erheischen, das man in
Christlicher Freyheit fürsichtiglich wandle. Der ur-
sach S. Paulus sagt, ωdas er den Juden als ein Jud
und den schwachen als ein schwacher worden, auff
das er die schwachen gewinne, das ist, sich ein zeit-
lang seiner Freyheit geeussert16 und derselbigen
nicht gebraucht, auff das sich gleich anfangs an sei-
ner Lehr und Exempel niemand ergert, und sich
nicht scheucht zuschreiben, αEr wolt eh sein leben-
lang kein Fleisch essen, dann das er mit demselben
nur ein schwachgleubigen Menschen verergern solte.
So hoch seind die schwachgleubigen in den Augen

α 1. Cor. 8 [13].
10 Vorwand, s. Grimm, DWb 14, Sp. 2429.
11 Vgl. 1Tim 1,13.
12 Drohen.
13 Apg 9,1.
14 Unterwiesen, s. FWb 3, Sp. 1493.
15 Sich ziehen auf - sich berufen auf, s. Grimm, DWb 31,
Sp.1010.
16 Auf die Freiheit verzichtet, s. FWb 6, Sp. 202.

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