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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0501
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Einleitung

nicht unter den Dokumenten des AM Colmar. In der Colmarer Kirchenordnung von 1637 bzw. 164882
werden die vier Marientage ebenso wie der Johannestag noch zu den Feiertagen gerechnet; von den Apostel-
und Evangelistentagen ist das Fest der Bekehrung des Apostels Paulus (Conversio Pauli) übriggeblie-
ben83.
In einem an den Rat adressierten Bericht hatte sich der Dekan des Stifts St. Martin, Jakob Klein,
bereits im März 1560 über die mangelnde Einhaltung der Fastengebote durch die Colmarer Bevölkerung
beklagt: dise viertzig tegigen fastenzit und andere fasttag durchs Jar, da under jungen und alten, krankhen und
gesunden, wenig discretion und underscheidt der spyß halb gehalten wyl sinu. In seiner Stellungnahme zu dem
Bericht hatte der Rat dem Dekan seinerzeit zugesagt, die Mitglieder der Zünfte auf ihren Stuben ent-
sprechend zu ermahnen, daß sie die Fasten und feyr nach der kyrchen ordnung halten85. Jetzt, 1575, ging es
vor allem darum, einen gangbaren Weg zwischen den beiden Konfessionen in der Stadt zu finden. Die
leitende Absicht des Mandats ist es deshalb, Anstoß zu vermeiden (ein teyl dem anndern argerlich seye). So
wird einerseits an den bisherigen Fastentagen und an der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern festgehalten,
andererseits aber das Essen von Fleisch freigegeben. Um etwaige Provokationen zu vermeiden, wird der
Fleischgenuß in der Öffentlichkeit (in Gasthäusern oder Zunftstuben) jedoch untersagt86.
4. Zuchtordnung, [1575] (Text S. 505) / 11. Mandat gegen Gotteslästerung [vor 1593] (Text S. 528)
Die Zuchtordnung ist eine Frucht des Städtetages, der 1575 in Esslingen abgehalten worden war. Die
Städtetage dienten den Frei- und Reichsstädten zur Absprache und zum Ausgleich ihrer Interessen; sie
wurden je nach Bedarf einberufen, oft im Vorfeld eines Reichstages, und fanden an unterschiedlichen Orten
statt87. Bei der Esslinger Versammlung, die als Anhaltspunkt für die Datierung der Zuchtordnung dient,
hatten die Gesandten die gemeinsame Bekämpfung einer Reihe von Mißständen in den Reichsstädten
beschlossen. Mehrfach wird in der Zuchtordnung auf kaiserliche Mandate und auf die Abschiede der
Reichstage Bezug genommen.
Die konkrete Umsetzung der Beschlüsse der Esslinger Versammlung scheint den einzelnen Reichsstäd-
ten dann selbst überlassen worden zu sein. Im Unterschied zu den anderen, in diesem Band enthaltenen
Ordnungen der Stadt Colmar, die nur handschriftlich überliefert sind, ist die Zuchtordnung gedruckt wor-
den. Dieser Druck in Form eines Plakats war zum Aushang auf den Zunftstuben bestimmt. Den Zünften,
vor allem den aus ihren Reihen stammenden Schöffen88, war auch eine wichtige Rolle bei der Umsetzung
bzw. Überwachung der Bestimmungen der Zuchtordnung zugedacht.
An mehreren Stellen wird auf frühere vom Rat und den Schöffen erlassene Mandate verwiesen; in der
überwiegenden Zahl scheinen diese Mandate nicht erhalten zu sein. Die Zuchtordnung selbst bewegt sich
inhaltlich weitgehend in den von den Zuchtordnungen anderer Städte bekannten Bahnen89. Unter den

82 Forma oder Christliche Kirchen Ordnung der Evangeli-
schen kirchen in der Statt Colmar, wie es mit den Cere-
monien und Kirchengebräuch bey den Predigten, ver-
richtung der H. Sacramenten, Gebetten, Eheeinsegnung,
Ordination der Kirchendiener, Ehe- und Schuel Ordnung
und andern dazu gehörigen Sachen daselbst geübt wor-
den bißhero und fürohin durch die hülffe Gottes gehalten
werden soll, Colmar: Georg Friedrich Spannseil 1648.
Die gedruckte Ausgabe von 1648 unterscheidet sich nur
unwesentlich von der Ordnung von 1637.
83 Vgl. Graff, Kirchenordnung, S. 124.
84 Der Auszug aus dem Bericht von Jakob Klein ist abge-
druckt bei Lebeau / Valentin, Alsace, S. 175.
85 Ebd. S. 176.

86 Für die Einstellung der Reformatoren zum Fasten und
zu den provokativen Brüchen der Fastenzeit, wie etwa
dem Wurstessen in der Werkstatt des Zürcher Druckers
Christoph Froschauer im Jahr 1522, vgl. TRE11,
S. 55-57; Locher, Zwinglische Reformation, S. 95-98.
87 Zur Einrichtung der Städtetage allgemein vgl Georg
Schmidt, Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine
Untersuchung zur korporativen Politik der freien und
Reichsstädte in der 1. Hälfte des 16. Jh., Stuttgart 1984
(= BSVAR 5). Eine Dokumentation des Städtetages in
Esslingen 1575 fehlt leider noch.
88 Zu den Schöffen vgl. oben S. 472.
89 Vgl. z.B. Sehling, EKO XVII, Nr. 4, S. 52-56; EKO
XX,1, Nr. 10, S. 208-217 sowie in diesem Band unter
Mülhausen Nr. 17 und Nr. 24.

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