Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0512
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Reichsstift und die Stadt Essen

Das Miteinander zweier Konfessionen in der Stadt war nicht immer störungsfrei. Schon am 10. Mai
1563 hatte sich die Äbtissin Irmgard von Diepholz (reg. 1561-1571) in einem Schreiben gegenüber dem
Kanonikerkapitel nicht nur darüber beklagt, dass der Rat „eynen frembden predicanten“ angestellt habe,
der „under beider gestaldt den nachtmailh des hern den leyen“ reiche, sondern auch, dass durch diesen „vill
scheldens, schmehens und iniurien widder die obrigkeit und lerher der althen religion ... offendtlich“ ver-
breitet würden.39 Gegen die verbalen Attacken der Protestanten auf die Altgläubigen schritt der Magistrat
im Dezember 1563 ein. Unter Berufung auf den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden von 1555 unter-
sagten Bürgermeister und Rat den Stadtbewohnern, die Mitglieder des Kanonikerkapitels sowie andere
altgläubige Geistliche zu verspotten.
3. Predigerartikel 1571 (Text S. 499)
In den 1560er Jahren war in Essen nicht nur eine lutherische Gemeinde entstanden, der die Mehrzahl der
Stadtbewohner angehörte, sondern hier hatte auch die Theologie Johannes Calvins Anhänger gefunden,
nicht zuletzt durch die Nähe der Stadt zu Duisburg und Wesel, wo sich Flüchtlinge reformierten Glaubens
niedergelassen hatten. Der Essener Rat suchte die Ausbreitung der reformierten Strömung in der Stadt zu
unterbinden. Als er im März 1564 jedoch in Wesel anfragte, ob der dort amtierende Prediger Johann
Heitfeld für die zweite Predigerstelle an St. Gertrud nach Essen entsandt werden könne, wusste er offenbar
nicht, dass Heitfeld ebenfalls der reformierten Theologie anhing. Diese Tendenz zeigte sich jedoch schon
wenige Tage nach Heitfelds Ankunft in Essen, als er am Palmsonntag (26. März) Altäre und Bildwerke aus
der Gertrudkirche entfernen ließ.40 Daraufhin musste Heitfeld die Stadt Ende Juni wieder verlassen. Auch
seine unmittelbaren Nachfolger, der aus Utrecht berufene Markus Hortensius und der von Herzog Wil-
helm V. von Kleve nominierte Sibert Loen, die nach Prüfung lutherischen Bekenntnisses zu sein schienen,
vertraten jedoch ebenfalls die reformierte Lehre und wurden nach kurzer Zeit ihres Amtes enthoben.41
Als schließlich auch der 1564 an Barenbroichs Stelle als erster Prediger an St. Gertrud berufene Kaspar
Isselburg42 in den Verdacht geriet, der reformierten Lehre anzuhängen, wandte sich der Rat am 30. Juli
1571 an Hermann Hamelmann, den ehemaligen Pfarrer der Lemgoer Marienkirche, Isselburgs Bekenntnis
zu prüfen. Am 1. September 1571 kamen Hamelmann und Isselburg in Gegenwart des Rats zu einer Dis-
putation zusammen, die in heftige Wortgefechte ausartete und in deren Folge Isselburg die Stadt am
1. November verließ.43
Im Zusammenhang mit diesem Religionsgespräch entstanden auch die elf Predigerartikel.44 Rat und
Prediger erklärten darin, am lutherischen Bekenntnis festhalten zu wollen. Neben den altkirchlichen
Bekenntnissen und der Confessio Augustana von 1530 sollte die Pfalz-Zweibrücker Kirchenordnung von
1557 das maßgebliche Ordnungswerk der evangelischen Kirche in Essen bleiben.

39 MünsterA Essen, A 495, 1a, fol. 1r.
40 Müller, Reformation, S. 159; Schröter, Reformation,
S. 76.
41 Müller, Reformation, S. 161f.
42 Zu Isselburg siehe Rotscheidt, Isselburg, S. 350-360;
ders. , Essener Chronik, S. 273-282; Schröter, Rechtfer-
tigung, S. 132-139.
43 Abdruck der Protokolle bei Rotscheidt, Religionsge-
spräch, S. 37-61 und Faulenbach, Das 16. Jahrhun-
dert, S. 298-317. Vgl. Kuhlendahl, Einführung,
S. 84-95; Ascherfeld, Entstehung, S. 104f.; Ribbeck,
Geschichte II, S. 5f., 9, 16f.; Jahn, Geschichte, S. 224f.;
Müller, Reformation, S. 138-145; Schröter, Recht-

fertigung, S. 135f.; Greyerz, City Reformation, S. 176;
Rotscheidt, Essener Chronik, S. 280f.
44 Sie wurden von jüngerer Hand auf 1571 datiert. In der
Vorrede der Essener Kirchenordnung von 1664 (siehe
Anm. 35) heißt es hingegen: „Die prediger sollen den ayd
der getreuigkeit oder den bürgerayd vor einen wohlacht-
bahren rath abzulegen und darneben die so genandte pre-
diger articul, in anno 1563 auffgerichtet, ... zu unter-
schreiben und an eydes statt selbiger nachzuleben schul-
dig undt gehalten seyn“, StadtA Essen, 100/2250, fol. 29r.
Siehe auch in einem zweiten Exemplar der Kirchenord-
nung ebd., fol. 70v. Abdruck in Wächtler, Geschichte,
S. 179. Vgl. Ribbeck, Geschichte II, S. 17 Anm. 4.

494
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften