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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0361
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Einleitung

Philipp von Hessen gebeten, zwei Vermittler nach Münster zu schicken, die am 8. November eintrafen.
Dietrich Fabricius und Johannes Lening sollten das bedrohte lutherische Kirchenwesen durch die Ausar-
beitung einer neuen Kirchenordnung stärken.70
Bischof Franz von Waldeck erhob Einspruch gegen diese Pläne, da er beabsichtigte, eine eigene „christ-
liche und erbarliche Ordnung der Religion“ für das Hochstift Münster und somit auch für die städtischen
Kirchen zu erlassen.71 Er forderte den hessischen Landgrafen auf, die beiden Prediger aus Münster abzu-
ziehen, blieb damit jedoch erfolglos.72 Fabricius und Lening hatten die Kirchenordnung innerhalb weniger
Tage fertiggestellt, denn am 18. November berichteten sie dem Landgrafen: „Wir bitten und begeren auch
underteniglich, e. f. g. wullen uns des irsten tages widder heim fordern. Dan wir nun der statt Munster ein
mittelmessige Kirchenordnunge gestellet; werden auch, sobald es müglich, die kirchen mit dienern, so itzunt
vorhanden, versorgen“.73 Am 30. November wurde die Ordnung in St. Lamberti verlesen und von der
versammelten Qemeinde angenommen.74
Während Johannes Lening die Stadt bald darauf wieder verließ, blieb Dietrich Fabricius noch, predigte
in der Lambertikirche und reichte das Abendmahl nach lutherischem Ritus. Angesichts des seit Anfang
1534 starken Zustroms an Täufern in die Stadt bat er seinen Landesherrn jedoch am 1. Februar um Abbe-
rufung und verließ Münster kurz danach.75
Auch die von den beiden hessischen Theologen erarbeitete Kirchenordnung ist nicht überliefert. Da
Fabricius und Lening sie in ihrem Brief vom 18. November als „mittelmessig“ bezeichnen, wird sie eine
zwischen oberdeutscher und lutherischer Theologie vermittelnde Position eingenommen haben.76

3. An der Schwelle zur Täuferherrschaft 1533/34

Bereits im Dezember 1533 waren die wenige Monate zuvor ausgewiesenen Wassenberger Prädikanten wie-
der nach Münster zurückgekehrt. Im Januar 1534 trafen auch „Melchioriten“ - Anhänger Melchior Hoff-
mans - ein.77 Hoffman propagierte eine durch die Erwachsenentaufe geeinte Gemeinde der Auserwählten
Gottes, die alle Gottlosen auszurotten und in einem theokratischen Zwischenreich auf die Endzeit zu warten
hätten. Vor dem Hintergrund dieser Visionen hatte Hoffman für das Jahr 1533 die Wiederkunft Christi in
Straßburg vorausgesagt und war - nachdem dies nicht eingetreten war - vom Straßburger Rat als Häretiker
gefangengesetzt worden.78 Jan Mathys in Haarlem knüpfte an Hoffmans Vorstellungen an und radikali-
sierte sie, indem er - anders als dieser, der die Vernichtung der Gottlosen von der Obrigkeit forderte - die
Täufergemeinde selbst zur Gewalt gegen die Gottlosen aufforderte. Mit Bartholomäus Boekbinder und
Willem de Kuiper erschienen am 5. Januar 1534 zwei Abgesandte des Jan Mathys in Münster, die Bernd

nung, S. 233; Schröer, Reformation 2, S. 401f.; Behr,
Franz von Waldeck II, Nr. 64; Laubach, Reformation,
S. 173.
70 Krapf, Landgraf Philipp, S. 63-78; Schröer, Reforma-
tion 2, S. 400-403; Kluge, Kirchenordnung, S. 234;
Küch, Politisches Archiv II, S. 784.
71 Behr, Franz von Waldeck I, S. 87. Bischof Franz von
Waldeck, der sich 1543 selbst der Reformation zuwandte,
erließ erst in diesem Jahr eine Kirchenordnung für das
Fürstbistum Osnabrück, das Niederstift Münster sowie
die Herrschaft Delmenhorst, vgl. Sehling, EKO XXI,
S. 113f.
72 Stupperich, Reformationsgeschichte, S. 111; Schröer,
Reformation 2, S. 403f.

73 Cornelius, Geschichte II, S. 369. Vgl. Behr, Franz von
Waldeck II, Nr. 66, 68, 70.
74 Kluge, Kirchenordnung, S. 234; Detmer, Kerssen-
broch II, S. 458; Krapf, Landgraf Philipp, S. 64; Ro-
thert, Kampf, S. 20; Laubach, Reformation, S. 173.
75 Stupperich, Reformationsgeschichte, S. llOf.; Kluge,
Kirchenordnung, S. 235.
76 Kluge, Kirchenordnung, S. 234.
77 Kirchhoff, Täufer im Münsterland, S. 2-16; Corne-
lius, Geschichte II, S. 210-239.
78 Deppermann, Klaus, Melchior Hoffman. Soziale
Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der
Reformation, Göttingen 1979; Cornelius, Geschichte
II, S. 75-98.

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