20
Livland.
II. Einer der wichtigsten, aber auch schwierigsten Punkte war das Finanzwesen. Hier
waren Rath und Gilden thätig. Es herrscht beständig Geldnoth. So tragen am 12. März 1550
die beiden Kirchenvorsteher von St. Johannis, Thomas Stralborn und Moritz Schröder (Bl. 56 b),
dem Rathe und Vertretern der beiden Gilden und der Schwarzen Häupter vor, dass für die
bauliche Erhaltung der Kirche kein Geld vorhanden sei. Es wird ihnen gestattet, ein Kapital
gegen Rente aufzunehmen; die Kirchenväter tragen weiter Folgendes vor: der Rath habe ihnen
eine Sammlung in der Stadt erlaubt, damit die „geschorde“ grosse Glocke wieder gegossen
werden könne; diese Sammlung habe aber wenig eingebracht; damit nun zur Unterhaltung
solcher Kirche und besonders zur Fertigung der Glocke nichts versäumt würde, hätten die
Kirchspielsleute unter sich einhelliglich etliche Artikel beliebt, die sie hiermit schriftlich
übergäben, und dass man sie später nicht beschuldige, als wären sie diejenigen allein gewesen,
die solche Artikel aus ihrem Kopfe „gespunnen“, bäten sie, dass dieselbigen nun in Gegenwart
aller Parteien öffentlich vorgelesen würden, und dass sie mit Bewilligung und weiteren Befehlen
des Rathes allhier in dieser Stadt Denkelbuch protokollirt würden. Der Rath entsprach diesem
Wunsche und liess die Ordnung von 1550 dem Protokollbuche einverleiben. Sie ist also
zunächst von der Gemeinde im innerkirchlichen Sinne beschlossen worden, d. h. wohl von den
Kirchenvorstehern dieser St. Johannis-Gemeinde. Die Motivirung, weshalb sie vor den Rath
gebracht werde, ist naiv; die Ordnung konnte ohne Zustimmung des Rathes gar nicht erlassen,
zum Mindesten nicht exekutirt werden.
Die Ordnung wird hier erstmalig publizirt. (Nr. 3.)
Die Verhandlungen wegen des Zuschusses der kleinen (Unserer lieben Frau) Gilde gehen
übrigens noch weiter; die Schwarzen Häupter wollen nur 100 Mk. zum Orgelwerk beitragen.
Mit der fraglichen grossen Glocke wurde übrigens zum ersten Male wieder Sonnabend Valentini,
d. i. am 14. Februar 1551 geläutet. —
Die Besoldungen der Kirchen- und Schuldiener wurden aus dem Gemeinen Kasten be-
stritten, der seine eigenen Kastenvorsteher hatte. Hier herrschte ebenfalls stets Geldnoth. Die
Geistlichen baten beständig um Gehaltsaufbesserungen, fast sämmtliche Schuldiener drohten um
1551 mit Kündigung u. s. w. (Bl. 46 a). Welch eigenthümliche finanzielle Massnahmeu später zur
Befriedigung der Bedürfnisse und zur Sanirung des gemeinen Kastens versucht wurden, wird
unten S. 23 bei der Wahl des obersten Pastors zu schildern sein. Die Gilden sollten stets ein-
springen; eine allgemeine städtische Steuer wird auch einmal (vgl. unten S. 24) erwähnt. Die
Verwaltung des gemeinen Kastens unterlag der Controle des Rathes und der beiden Gilden.
Die Verwaltung des Armenwesens durch Armenvorsteher unterstand ebenfalls der Auf-
sicht des Rathes. Wegen der finanziellen Leistungen waren auch die Gilden mit thätig, sie
ernannten auch einige von den Armen vorstehern (vgl. z. B. Prot. cons. 53 vom 8. März 1550).
Am 15. Oktober 1554 erliess der Rath eine Verordnung, die hier erstmalig abgedruckt
wird (Prot. cons. 471 a). (Nr. 7.)
III. Die kirchliche Organisation ist sehr einfach. Die beiden Pastoren an den Kirchen
St. Johannis und St. Marien sind die Pfarrer im Sinne des alten Rechts, sie allein heissen
Pastores. Alle anderen dort amtirenden Geistlichen sind nur ihre Gehülfen, sie heissen
Predikanten oder Capellane. Man sehe namentlich die Ordnung von 1553. Der Pastor der
Marienkirche gilt als der oberste Pastor und als die Spitze der ganzen Kirchendiener. Seine
Befugnisse werden rechtlich erst 1554 fixirt. Nach der Entlassung von Marsow (26. Oktober 1522)
blieb das Pastorat von St. Marien zunächst vakant. Die Befugnisse eines „obersten Pastors“
wurden provisorisch von dem einzigen Pastor Johannes Fegesack wahrgenommen. (Hierbei ist
zu beachten, dass die Johanniskirche im Reformationszeitalter vor Allem estnische, daneben
aber auch deutsche Kirche war; vgl. die Ordnung vom 8. Nov. 1553 [unten S. 28 ], im Abschnitte
Livland.
II. Einer der wichtigsten, aber auch schwierigsten Punkte war das Finanzwesen. Hier
waren Rath und Gilden thätig. Es herrscht beständig Geldnoth. So tragen am 12. März 1550
die beiden Kirchenvorsteher von St. Johannis, Thomas Stralborn und Moritz Schröder (Bl. 56 b),
dem Rathe und Vertretern der beiden Gilden und der Schwarzen Häupter vor, dass für die
bauliche Erhaltung der Kirche kein Geld vorhanden sei. Es wird ihnen gestattet, ein Kapital
gegen Rente aufzunehmen; die Kirchenväter tragen weiter Folgendes vor: der Rath habe ihnen
eine Sammlung in der Stadt erlaubt, damit die „geschorde“ grosse Glocke wieder gegossen
werden könne; diese Sammlung habe aber wenig eingebracht; damit nun zur Unterhaltung
solcher Kirche und besonders zur Fertigung der Glocke nichts versäumt würde, hätten die
Kirchspielsleute unter sich einhelliglich etliche Artikel beliebt, die sie hiermit schriftlich
übergäben, und dass man sie später nicht beschuldige, als wären sie diejenigen allein gewesen,
die solche Artikel aus ihrem Kopfe „gespunnen“, bäten sie, dass dieselbigen nun in Gegenwart
aller Parteien öffentlich vorgelesen würden, und dass sie mit Bewilligung und weiteren Befehlen
des Rathes allhier in dieser Stadt Denkelbuch protokollirt würden. Der Rath entsprach diesem
Wunsche und liess die Ordnung von 1550 dem Protokollbuche einverleiben. Sie ist also
zunächst von der Gemeinde im innerkirchlichen Sinne beschlossen worden, d. h. wohl von den
Kirchenvorstehern dieser St. Johannis-Gemeinde. Die Motivirung, weshalb sie vor den Rath
gebracht werde, ist naiv; die Ordnung konnte ohne Zustimmung des Rathes gar nicht erlassen,
zum Mindesten nicht exekutirt werden.
Die Ordnung wird hier erstmalig publizirt. (Nr. 3.)
Die Verhandlungen wegen des Zuschusses der kleinen (Unserer lieben Frau) Gilde gehen
übrigens noch weiter; die Schwarzen Häupter wollen nur 100 Mk. zum Orgelwerk beitragen.
Mit der fraglichen grossen Glocke wurde übrigens zum ersten Male wieder Sonnabend Valentini,
d. i. am 14. Februar 1551 geläutet. —
Die Besoldungen der Kirchen- und Schuldiener wurden aus dem Gemeinen Kasten be-
stritten, der seine eigenen Kastenvorsteher hatte. Hier herrschte ebenfalls stets Geldnoth. Die
Geistlichen baten beständig um Gehaltsaufbesserungen, fast sämmtliche Schuldiener drohten um
1551 mit Kündigung u. s. w. (Bl. 46 a). Welch eigenthümliche finanzielle Massnahmeu später zur
Befriedigung der Bedürfnisse und zur Sanirung des gemeinen Kastens versucht wurden, wird
unten S. 23 bei der Wahl des obersten Pastors zu schildern sein. Die Gilden sollten stets ein-
springen; eine allgemeine städtische Steuer wird auch einmal (vgl. unten S. 24) erwähnt. Die
Verwaltung des gemeinen Kastens unterlag der Controle des Rathes und der beiden Gilden.
Die Verwaltung des Armenwesens durch Armenvorsteher unterstand ebenfalls der Auf-
sicht des Rathes. Wegen der finanziellen Leistungen waren auch die Gilden mit thätig, sie
ernannten auch einige von den Armen vorstehern (vgl. z. B. Prot. cons. 53 vom 8. März 1550).
Am 15. Oktober 1554 erliess der Rath eine Verordnung, die hier erstmalig abgedruckt
wird (Prot. cons. 471 a). (Nr. 7.)
III. Die kirchliche Organisation ist sehr einfach. Die beiden Pastoren an den Kirchen
St. Johannis und St. Marien sind die Pfarrer im Sinne des alten Rechts, sie allein heissen
Pastores. Alle anderen dort amtirenden Geistlichen sind nur ihre Gehülfen, sie heissen
Predikanten oder Capellane. Man sehe namentlich die Ordnung von 1553. Der Pastor der
Marienkirche gilt als der oberste Pastor und als die Spitze der ganzen Kirchendiener. Seine
Befugnisse werden rechtlich erst 1554 fixirt. Nach der Entlassung von Marsow (26. Oktober 1522)
blieb das Pastorat von St. Marien zunächst vakant. Die Befugnisse eines „obersten Pastors“
wurden provisorisch von dem einzigen Pastor Johannes Fegesack wahrgenommen. (Hierbei ist
zu beachten, dass die Johanniskirche im Reformationszeitalter vor Allem estnische, daneben
aber auch deutsche Kirche war; vgl. die Ordnung vom 8. Nov. 1553 [unten S. 28 ], im Abschnitte