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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (5. Band): Livland, Estland, Kurland, Mecklenburg, Freie Reichsstadt Lübeck mit Landgebiet und Gemeinschaftsamt Bergedorf, das Herzogthum Lauenburg mit dem Lande Hadeln, Hamburg mit Landgebiet — Leipzig: O.R. Reisland, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.27083#0345
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Die freie Reichsstadt Lübeck mit Landgebiet und Gemeinschaftsamt Bergedorf.

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des Kirchenwesens ganz anders. Bugenhagens Kirchenordnung hatte eine starke Beteiligung
der Gemeinde vorgesehen. In Folge der politischen Veränderungen, welche 1535 zur Wieder-
herstellung der durch Wullenweber beseitigten Rathsherrschaft führte, kamen die betreffenden
Punkte in Abnahme, die 20 Kirchväter der bugenhagenschen Ordnung wurden nicht mehr gewählt,
die Verwaltung der Kirche und der milden Stiftungen wurde von Rathsmitgliedern übernommen,
Diakonen nur noch für die Armenpflege beibehalten. Vgl. Funk, in Zeitschr. des Vereins für
Lübeckische Geschichte 2, S. 174. (Die Diakonenordnungen stammen alle aus späterer Zeit.
Funk 2, S. 176.) Damit mag wohl die häufig zu lesende Nachricht zusammenhängen, dass die
Ordnung Bugenhagens bald, nach vier Jahren, abgeändert worden sei. Formell wenigstens ist
dies nicht richtig. Formell hat die Ordnung gegolten bis in die neueste Zeit. Nur thatsächlich
wurde sie nicht beobachtet. Auch die Nachricht in der Müller-Kirchringschen Chronik, dass
1662 eine neue Kirchenordnung verfasst worden sei, ist irrig. Es verhält sich damit vielmehr so.
Versuche zu einer neuen Ordnung sind mehrfach festzustellen. So finden wir im Staatsarchiv
Lübeck, Archiv des geistl. Min. Tom. II pag. 102, das Original einer Resolution des Senats an das
Ministerium, in der der Rath auf die Supplikation der Geistlichen hin eine Revision der Kirchen-
ordnung anordnet, „weil die Kirchenordnung fur achtzig und mehr jahren verfasst, in Abgang
gerathen, auch von den Predigern selbst nicht observirt wird“, und im Staatsarchiv Lübeck,
Index rer. eccles. fol. 565, wird das „Projekt einer Kirchenordnung oder gewisse Capita,
so ein hochedler Rath dieser stadt in mangelung einer völligen Kirchenordnung und ehe man
zu einer gründlichen Revision kommen kann vor allen und jeden im ministerio unverbrüchlich
will gehalten haben 1620“ genannt — aber es ist zu keiner Revision gekommen. Die Ordnung
Bugenhagens galt offiziell weiter; ja, für den Gottesdienst hat sie im Wesentlichen auch that-
sächlich weiter gegolten, und zwar bis 1860, wo eine neue Ordnung eingeführt wurde. (Über
die lateinische Sprache im Gottesdienste, die bis weit in das 18. Jahrh, eine breite Verwendung
fand, und ihre allmähliche Abschaffung durch Rathsdekrete, z. B. vom 24. November 1790,
8. Dezember 1790 und 15. Dez. 1790 vgl. den Aufsatz in „Lübeckische Blätter“ 52 [1910] S. 476).
Die regelmässigen kirchlichen Geschäfte besorgte das Ministerium unter seinem
Superintendenten. Aber der Rath behielt sich vor, in allen wichtigen Fällen selbst ein-
zugreifen, wo es ihm gut erschien und die nöthigen Anordnungen zu treffen, was denn auch
oft genug geschah (Starck S. 383; N. Lüb. Blätter 1850, S. 157; Hoffmann 2, S. 54). So
entwickelt sich denn, in den politischen Verhältnissen begründet, ein strammes Regiment des
Raths. Er ernennt als seinen kirchlichen Beamten den Superintendenten, und weist alle Ver-
suche des Ministeriums, auf diese Ernennung einen Einfluss zu gewinnen, ab (so 1553, 1566),
und unterdrückt überhaupt alle Selbständigkeitsregungen des Ministeriums.
Die Superintendenten des 16. Jahrhunderts waren nur Bonnus, Curtius und Pouchenius.
Als erster Superintendent wurde Hermann Bonnus gewählt. Bugenhagen blieb übrigens
auch nach Vollendung der Kirchenordnung auf Bitten des Rathes noch längere Zeit in Lübeck
und kehrte erst im April 1532 nach Wittenberg zurück. Wie er in Lübeck und noch von
Wittenberg aus für Lübeck gewirkt hat, ist hier nicht darzustellen. Über die Thätigkeit des
ersten Superintendenten Bonnus ist die Darstellung bei Spiegel, Hermann Bonnus, 2. Aufl.,
zu vergleichen. Über seine Stellung zu Wullenwever, sowie über die Irrlehreverhandlungen
mit den sechs Städten, die zu den Hamburger Artikeln führte, vgl. ebenda S. 45 ff. Die Artikel
wurden vom Rathe zu Lübeck publizirt. Bonnus schrieb für Lübeck einen Katechismus, der
bei Spiegel abgedruckt ist. Wie er später in Osnabrück die Kirchenordnung unter Zugrunde-
legung der Lübecker feststellt, wird bei Osnabrück zu schildern sein. Nach Lübeck zurück-
gekehrt, sorgte er für ein Lübecker Gesangbuch (Spiegel, a. a. O. S. 106).
Auf Bitten von Bonnus erliess der Rath 1544 ein Mandat wider das Fastelabends-
Sehling, Kirchenordnungen. V. 42
 
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