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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0349
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Klosterordnung 1569

die gebot Gottes nicht vollkömlich halten kön-
nen, wie wollen wir denn selig w rerden?

Auf diese frag ist droben geantwortet 70: nach-
dem uns unmüglich, die zehen gebot vollkomen
zu erfüllen, zeiget uns unser catholischer, alge-
meiner, christlicher glaube den weg, wie wir
widerumb bey Gott zu gnaden kommen, nem-
lich, das wir gleuben sollen an Jesum Christum,
der für uns gelitten und uns vergebung der
sünden erlangt hat. Der ist, wie S. Paulus zeuget
[Rom. 10, 4], das ende und die erfüllung des
gesetzes und [1. Cor. 1, 30] uns von Gott ge-
macht zur erlösung, gerechtigkeit und heiligung,
cler von keiner sünde wuste, den hat Gott für
uns zur sünde gemacht, auf das wir in ihme
würden die gerechtigkeit Gottes, das ist, vor
Gott gerecht, der für uns ein fluch ist worden,
auf das er uns von dem fluch des gesetzes er-
lösete [2. Cor. 5, 21; Gal. 4, 4 f.].

Wenn uns nun Gott umb Christum willen
widerumb zu gnaden aufgenommen hat, alsdenn
sollen wir alle diese regel der zehen gebot 71
für uns nemen und uns lassen dieselbige eine
richtschnur sein aller unser gedanken, wort
und werk; und ob wir gleich dieselbige nicht
volkommen halten, so wil uns doch Gott der
ursach nicht verwerfen. Denn wie S. Paulus sagt
[Rom. 8, 2—4; Gal. 4, 4 f.]: Wir sind nicht mehr
unter dem gesetz, das ist unter dem fluch des
gesetzes, den Christus für uns ausgestanden hat,
sondern unter der gnade, das ist, wir haben
einen gnedigen Gott durch Christum, der ihme an
seinen lieben kindern den gehorsam gefallen
lesst, wenn er gleich ganz schwach und un-
volkommen ist. Die liebe ist blind, küsset auch
manchs rotziges kind, wie an den leiblichen
müttern zu sehen; gleicher gestalt ist auch Gott
gegen seinen kindern gesinnet.

Damit wir aber solchen willen etlichermassen
thun können, hat uns Christus leren beten 72:

70 a. R.: Antwort: Durch den glauben an Jhesum
Christum müssen wir alle selig werden.

71 a. R.: Die gleubigen sollen nach den zehen
geboten ihr leben anstellen.

72 aR.: Die Christen sollen beten umb ein christ-
lich leben.

Dein will geschehe auf eraen wie im himel,
welcher uns so viel kraft seines heiligen Geists
verleihen wil, da wir gleich uns der sünden
weder in gedanken, worten noch werken nicht
allerdings erwehren können, das wir doch die
sünde in unserm fleisch nicht herschen lassen
[Rom. 6, bes. 12].

Zur sterkung solcher gnad in uns hat er die
hochwidrige sacrament 73, nemlich die heilige
tauf und h. abendmal, desgleichen auch die
h. absolution eingesetzt, bey welchen der Herr
Christus selbst gegenwertig ist und durch seinen
heiligen Geist in den gleubigen wirket, nicht
allein die sterkung des glaubens, sondern auch
einen neuen gehorsam, das wir nicht allein an-
fangen, eine lust und liebe zum guten zu haben,
sondern auch dasselbige mit der that angreifen,
wider die anfechtungen des teufels, anreizung
der welt und unsers eigenen fleisches lüste
streiten, der sünde das regiment nemen, und
ob sie gleich nicht aller ding die sünde aus-
treiben, doch ihr nicht gestatten, uber sie zu
regieren, sondern im zaum zu halten. Da wir
nun also im streit stehen und ein misfallen
haben an dem bösen und gefallen zum guten
und doch nicht vollkomlich vollbringen mögen,
so wil ihm Gott solchen gehorsam nicht anderst
gefallen lassen, denn so er gar vollkomen were,
und die unvollkomenheit umb Christus willen
nicht zurechnen.

Da nun die klosterjungfrauen sich in einen
solchen christlichen gehorsam 74 mit herzen und
willen ergeben, Vvdrd niemand mit warheit von
ihnen sagen können, das sie etwas leichtfertiger-
weise hingelegt, noch viel weniger etwas neues
angenomen, sondern viel mehr in dem rechten
christlichen orden verharren, darauf sie getauft,
in der tauf eingekleidet und sich verbunden und
verpflicht haben, nach und in demselben orden
zu leben, darinnen sie nichts von andern Chri-

73 a. R.: Die sacramenta dienen zu einem gott-
seligen leben.

74 a. R.: Der reformirten klosterjungfrauen ge-
horsam.

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