Wolfenbüttel
fürnemen, dadurch unser nechster an seinen
ehren und gutem namen verletzt werde, sondern
von herzen seine ehr bewaren und seine schand
mit worten und werken zudecken.
In summa, unser ganze natur, leib und seel,
herz und verstand, will und vermögen, alle
imsere sinn und krefte sollen anderst nicht ge-
schaffen sein, denn nach dem allerheiligsten wil-
len Gottes, das wir wider seinen allerheiligsten
willen nichts gedenken, nichts wöllen, nichts
halten, nichts sehen, nichts hören, nichts kosten,
nichts riechen, nichts greifen, nichts handlen
noch wirken, sondern das in solchem allem der
gute wille Gottes geschehe, wie denn die lieben
engel im himel thun.
Ist nun miiglich, das in der welt einem men-
schen eine vollkommene regel könne fürge-
schrieben oder einer klosterjungfrauen von der
domina ein christlich werk befohlen werden,
das nicht in dieser regel begriffen sey? Nein für-
war, wenn man alle regel S. Augustini (die er
doch nicht geschrieben 62), S. Benedicti 63, S. Do-
minici 64, S. Francisci 65 und anderer zusamen
in einen klumpen schmelzen solte, mag kein
solche volkommene regel daraus gemacht werden.
Möcht aber jemand sprechen: Wer kan aber
diese regel 66 halten? Sie ist zu schwer und
uns armen sündern unmüglich zu halten. Eben
das wolt ich haben 67: diese regel ist allen key-
sern, königen, fürsten, graven, herrn, edelleuten',
62 Die ,,regula Augustini” schlechtweg ist die
sog. 3. Regel Augustins. Alle drei haben Augu-
stin nicht zum Verfasser, sind aber hervorge-
wachsen aus dem Schreiben Augustins an die
Nonnen von Hippo, in dem Augustin Grund-
regeln für das gemeinsame Leben der Nonnen
aufstellt (Ep. 211; MSL 33, 958 ff CSEL 57,
356 ff.). Vgl. den Text der 3. Regel MSL 32,
1377 ff„ dazu RE 3 2, S. 254 f.
63 Aelterer Druck der regula S. Benedicti: MSL
66, 215 ff. Ueber die zahlreichen späteren
Drucke und wissenschaftliche Untersuchungen
zu der Regel vgl. M. Heimbucher, Die Orden
und Kongregationen d. kath. Kirche 3 Bd. I,
1933, S. 161, Anm. 2. — Zu der Regel selbst
vgl. ibid. S. 160—167.
64 Dominikus machte für seinen Orden die sog.
3. Regel Augustins (vgl. Anm. 62) zur Richt-
bürgern, bauren, weib und man, knecht und
megden, jungen und alten, klein und grossen
fürgeschrieben und von Gott selbst auferlegt
worden.
Weil wir dann diese regel nicht halten können
und doch in der tauf alle die tag unsers lebens
verpflicht sind, darnach zu leben, was gehet
uns denn der noth an, das wir uns uber solche
noch andere regel 68 und werk lassen aufbinden,
die Gott nicht geboten, sondern ausdrücklich ge-
sagt hat, das ihme damit nicht gedienet werde?
Denn wie solt es Gott immermehr gefallen
können, das du seine gebot unterlessest und
wollest ihme mit menschengebot dienen? Wie
Christus Matth. am 15. capitel sagt: Warumb
ubertrettet ihr Gottes gebot umb euer aufsetz
willen [Matth. 15, 3; Esa. 29, 13]? Eim herrn
oder frauen auf dieser erden würde nicht ge-
fallen, wenn sie eim hausknecht etwas be-
vehlen, der hausknecht aber thet unter denen
weilen etwas anders, das ihme ein anderer
knecht befohlen hette. Der herr würde sagen:
Auf mein bevehl bistu bescheiden, das soltestu
gethan haben und nicht, was dich dein mit-
knecht geheissen. Also auch wir sind auf Gottes
gebot bescheiden und ist uns unmüglich, das-
selbige zu thun. Warumb solten wir uns denn
neue menschengebot und regel aufladen lassen?
Möcht einer weiter sagen 69: Weil wir denn
der menschen regel nicht halten sollen und
schnur. Die Verfassung des Ordens wurde
in ihrer Grundlage auf dem Generalkapitel
zu Bologna 1220 festgelegt und von Jordan
dem Sachsen, des Dominikus Nachfolger, wei-
ter ausgestaltet. Vgl. darüber Heimbucher,
a. a. O. S. 479 ff„ Literatur und Quellen-
angaben S. 469 ff.
65 Von den 3 Regeln des Franziskus für den
1. Orden sind die 2. und 3. erhalten. Ueber
die Drucke dieser Regeln vgl. Heimbucher,
a. a. O. S. 681, Anm. 4; S. 682, Anm. 1, dazu
ibid. S. 681 ff.
66 a.R.: Einrede: Die regel der zehen gebot Got-
tes ist uns unmiiglich zu halten.
67 a. R.: Antwort.
68 a. R.: Ein Christ sol ihm uber die zehen gebot
kein andere regel aufdringen lassen.
69 a. R.: Einrede.
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fürnemen, dadurch unser nechster an seinen
ehren und gutem namen verletzt werde, sondern
von herzen seine ehr bewaren und seine schand
mit worten und werken zudecken.
In summa, unser ganze natur, leib und seel,
herz und verstand, will und vermögen, alle
imsere sinn und krefte sollen anderst nicht ge-
schaffen sein, denn nach dem allerheiligsten wil-
len Gottes, das wir wider seinen allerheiligsten
willen nichts gedenken, nichts wöllen, nichts
halten, nichts sehen, nichts hören, nichts kosten,
nichts riechen, nichts greifen, nichts handlen
noch wirken, sondern das in solchem allem der
gute wille Gottes geschehe, wie denn die lieben
engel im himel thun.
Ist nun miiglich, das in der welt einem men-
schen eine vollkommene regel könne fürge-
schrieben oder einer klosterjungfrauen von der
domina ein christlich werk befohlen werden,
das nicht in dieser regel begriffen sey? Nein für-
war, wenn man alle regel S. Augustini (die er
doch nicht geschrieben 62), S. Benedicti 63, S. Do-
minici 64, S. Francisci 65 und anderer zusamen
in einen klumpen schmelzen solte, mag kein
solche volkommene regel daraus gemacht werden.
Möcht aber jemand sprechen: Wer kan aber
diese regel 66 halten? Sie ist zu schwer und
uns armen sündern unmüglich zu halten. Eben
das wolt ich haben 67: diese regel ist allen key-
sern, königen, fürsten, graven, herrn, edelleuten',
62 Die ,,regula Augustini” schlechtweg ist die
sog. 3. Regel Augustins. Alle drei haben Augu-
stin nicht zum Verfasser, sind aber hervorge-
wachsen aus dem Schreiben Augustins an die
Nonnen von Hippo, in dem Augustin Grund-
regeln für das gemeinsame Leben der Nonnen
aufstellt (Ep. 211; MSL 33, 958 ff CSEL 57,
356 ff.). Vgl. den Text der 3. Regel MSL 32,
1377 ff„ dazu RE 3 2, S. 254 f.
63 Aelterer Druck der regula S. Benedicti: MSL
66, 215 ff. Ueber die zahlreichen späteren
Drucke und wissenschaftliche Untersuchungen
zu der Regel vgl. M. Heimbucher, Die Orden
und Kongregationen d. kath. Kirche 3 Bd. I,
1933, S. 161, Anm. 2. — Zu der Regel selbst
vgl. ibid. S. 160—167.
64 Dominikus machte für seinen Orden die sog.
3. Regel Augustins (vgl. Anm. 62) zur Richt-
bürgern, bauren, weib und man, knecht und
megden, jungen und alten, klein und grossen
fürgeschrieben und von Gott selbst auferlegt
worden.
Weil wir dann diese regel nicht halten können
und doch in der tauf alle die tag unsers lebens
verpflicht sind, darnach zu leben, was gehet
uns denn der noth an, das wir uns uber solche
noch andere regel 68 und werk lassen aufbinden,
die Gott nicht geboten, sondern ausdrücklich ge-
sagt hat, das ihme damit nicht gedienet werde?
Denn wie solt es Gott immermehr gefallen
können, das du seine gebot unterlessest und
wollest ihme mit menschengebot dienen? Wie
Christus Matth. am 15. capitel sagt: Warumb
ubertrettet ihr Gottes gebot umb euer aufsetz
willen [Matth. 15, 3; Esa. 29, 13]? Eim herrn
oder frauen auf dieser erden würde nicht ge-
fallen, wenn sie eim hausknecht etwas be-
vehlen, der hausknecht aber thet unter denen
weilen etwas anders, das ihme ein anderer
knecht befohlen hette. Der herr würde sagen:
Auf mein bevehl bistu bescheiden, das soltestu
gethan haben und nicht, was dich dein mit-
knecht geheissen. Also auch wir sind auf Gottes
gebot bescheiden und ist uns unmüglich, das-
selbige zu thun. Warumb solten wir uns denn
neue menschengebot und regel aufladen lassen?
Möcht einer weiter sagen 69: Weil wir denn
der menschen regel nicht halten sollen und
schnur. Die Verfassung des Ordens wurde
in ihrer Grundlage auf dem Generalkapitel
zu Bologna 1220 festgelegt und von Jordan
dem Sachsen, des Dominikus Nachfolger, wei-
ter ausgestaltet. Vgl. darüber Heimbucher,
a. a. O. S. 479 ff„ Literatur und Quellen-
angaben S. 469 ff.
65 Von den 3 Regeln des Franziskus für den
1. Orden sind die 2. und 3. erhalten. Ueber
die Drucke dieser Regeln vgl. Heimbucher,
a. a. O. S. 681, Anm. 4; S. 682, Anm. 1, dazu
ibid. S. 681 ff.
66 a.R.: Einrede: Die regel der zehen gebot Got-
tes ist uns unmiiglich zu halten.
67 a. R.: Antwort.
68 a. R.: Ein Christ sol ihm uber die zehen gebot
kein andere regel aufdringen lassen.
69 a. R.: Einrede.
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