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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0648
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Die Auseinandersetzungen mit dem Kloster St. Michaelis waren dagegen erheblich lang-
wieriger. Der Abt dieses Benediktinerklosters führte (seit Mitte des 14. Jahrhunderts als „Herr
vom Haus“, vgl. Weyhe-Eimke, S. 45) die Prälatenkurie, darüber hinaus aber auch die
gesamte Landschaft des Fürstentums Lüneburg, war somit der erste unter den Räten des
Fürstentums und erfreute sich auch in der Stadt eines besonderen Ansehens (vgl. Wrede,
S. 56, 58. 146 ff., Friedland, S. 74). Die neue Lehre kam hier 1532 ohne Zutun des be-
sonders darum bemühten Herzogs zum Durchbruch. Doch blieben bis zur Mitte des 16. Jh.s
einzelne Klosterbrüder noch Anhänger des alten Glaubens; bis zur Mitte des 17. Jh.s
hinein erhielt es sich als Mannskloster. Die Konventualen gingen zwar ohne Tonsur und
Ordenstracht, blieben aber bei dem Gelübde der Ehelosigkeit und bei katholischen Zeremonien.
1655 wurde das Kloster in eine Ritterakademie umgewandelt.

über die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse bis zur KO von 1573/75 sind wir nicht
so gut unterrichtet wie über die Einführung der Reformation (dasvorhandene Quellenmaterial
ist dürftig, vielleicht auch nicht voll ausgeschöpft. Bertram stellt lediglich biographische
Angaben iiber die Superintendenten und Prediger zusammen). Zunächst ist auf einen aufschluß-
reichen Umstand hinzuweisen: von den insgesamt neun Kapiteln der Schul- und KO des Ur-
banus Rhegius beschäftigen sich die sechs ersten mit der Regelung der Schulverhältnisse. Es
scheint, als ob Rhegius klug mit den gegebenen Verhältnissen in der Stadt rechnete: seit 1406
hielt der Rat das städtische Schulwesen straff in der Hand und brachte es zu hohem Ansehen
(vgl. Reinecke I, S. 171 ff., II, S. 180 ff.). Indern sich Rhegius dieses Schulwesens, das ge-
rade bei seiner Ankunft infolge einer Seuche, des sog. englischen Schweißes, fast ganz dar-
niederlag, besonders annahm, gewann er vielleicht den der neuen Lehre noch widerstrebenden
Rat überhaupt erst für seine Sache. Rhegius führte dabei praktisch nicht so sehr neue Formen ein,
sondern behielt alte bei, wie sie aus der katholischen Zeit her namentlich für das Schulwesen
überliefert waren. Die Rechte des Rates gegenüber der Kirche wurden als vorhanden voraus-
gesetzt. Da zur kirchlichen Verfassung und Verwaltung in der Stadt Lüneburg im Mittelalter
bisher noch keine genaueren Untersuchungen vorliegen, sei folgendes notiert:

Im Jahre 1406 hatte der Rat das Patronatsrecht an der Hauptpfarrkirche St. Johannis
vom Domkapitel Verden erworben (vgl. Reinecke 1, S. 170). Daneben bestand ursprünglich
noch eine zweite Pfarrkirche: St.Cyriaci, die aber bereits im 14. Jh. völlig bedeutungslos war
und dem Kloster St. Michaelis einverleibt wurde (vgl. J ü r g e n s, S. 26 f.). Alle übrigen städ-
tischen Gotteshäuser waren Kapellen und der Johanniskirche eingeordnet, obgleich St. Nikolai
und St. Lamberti (im 19. Jh. abgerissen) so stattlich waren, daß man sie durchweg als Kirchen
bezeichnete (vgl. Matthaei, Vikariestiftungen, S. 1). Mit der Erwerbung des Patronats-
rechtes an der Johanniskirche gelang es dem Rat, das Kirchenwesen mehr und mehr zu be-
einflussen. Zwar beherrschte er nicht schlechthin das außerordentlich ausgedehnte Benefizial-
wesen, erlangte aber immer mehr Rechte daran und kam gerade dadurch allmählich dazu, ein
stadtherrliches Kirchenregiment zu führen (vgl. M atthaei, Vikariestiftungen, S. 12 f., 17 f.,
auch Zechlin, S. 2 f.). So ist es wohl zu verstehen, daß der Rat bereits seit dem 15. Jh.
Hochzeits- und Eheordnungen sowie Ordnungen für Wochenbett und Taufe neben anderen Sit-
tenordnungen erlassen hat (vgl. Reinecke 1, S 434 ff.). Ebenso hatte er auch das Schul-
wesen ganz unter seiner Aufsicht.

Unter diesen Voraussetzungen gestalteten sich die Verhältnisse der evangelischen Geistlich-
keit. An die Stelle des bislang führenden ersten Pfarrers an der Johanniskirche, der als Propst
zugleich die Oberaufsicht über die Vikariestiftungen innehatte, trat der Superintendent. Da-

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