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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0086
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Was früher die Kirchengeschworenen in der Hand gehabt haben, soll jetzt alles den Kastendiakonen
überantwortet werden. Die Kastenherren werden gleich gesetzt mit den urkirchlichen Diakonen nach
Act 6 und 1. Tim 3. Zu jedem Kasten gehören einer aus dem Rat und 5 Bürger aus der Gemeinde. Die
Kastendiakonen sollen alljährlich auf dem Rathaus dem Rat und den Kastendiakonen Rechenschaft tun26.

Es gibt in der Gemeinde neben dem Predigtamt also das Laienamt der Diakonen. Die Diakonen
werden in einer jeden Kirche durch den Rat und die bisherigen Kastendiakonen gewählt. Das Amt
der Obrigkeit spielt wieder hinein. Die Ratspersonen treten weniger als „Auch-Laien“ auf, sondern
mehr eben als „Ratspersonen“. Die Diakonen verwalten Kirchen- und Armengelder ; an den eigent-
lichen Gemeindeordnungsangelegenheiten (Kultus- und Verfassungsbildung) scheinen sie nicht betei-
ligt. Wollte man hier Ansätze zu einer Presbyterialverfassung sehen27, so müßte man sie als recht schwach
bezeichnen. Doch ist das Amt der Kastenherren in Hildesheim gewichtiger gewesen, als es die KO er-
kennen läßt28. Bemerkenswert ist, daß Bugenhagen in seiner Schleswig-Holsteinischen KO von 1542
und in seiner Wolfenbüttler KO von 1543 die Versorgung der Kirchen- und Schuldiener sowie auch der
Armen zur göttlichen Ordnung zählt, der er die menschliche Ordnung gegenüberstellt29. Von daher, nach
seiner Funktion, muß demnach das Diakonenamt göttlichen Rechts sein. Es steht in der göttlichen
Rechtsordnung neben dem Predigtamt!

Das Ehegericht liegt beim Rat, der zwei aus seiner Mitte wählt, dazu 8echs gelehrte Gemeindeglieder,
die somit eine Art Konsistorium bilden. Zuerst soll nur der Stadtschreiber solche Sachen annehmen und
mit einem oder zweien richten, damit nicht immer alle zusammenkommen müssen. Gerichtet wird nicht
nur nach geschriebenen Rechten, d.h. nach römischem und kanonischem Recht, sondern auch nach guten
Büchern in Ehesachen, d.h. nach einschlägigen reformatorischen Schriften30.

Im Text der KO zeigen sich vielfach wörtliche Übereinstimmungen mit der Wolfenbüttler KO von
154331, gelegentlich auch mit der Schleswig-Holsteinischen KO von 154232. Darauf und auf weitere
Entsprechungen ist im einzelnen in den Fußnoten zur KO hingewiesen.

5. Die Bischöfe und Hildesheim

Am 1. Oktober, nachdem die Durchführung der Reformation grundlegend vollzogen war — Bugen-
hagen verließ die Stadt gerade wieder —, traf Bischof Teteleben nach längerer Abwesenheit wieder in Hil-
desheim ein. Er hoffte, die Reformation noch rückgängig machen zu können, mußte aber vernehmen,
daß es hierfür zu spät sei. Die Stadtverwaltung lehnte anfangs jedes persönliche Verhandeln ab. Schließ-
lich wurden Bürgermeister und etliche Ratsherren an ihn abgeordnet. Aber Valentin v. Teteleben drängte
auf Beseitigung der Reformation und vertrat den Standpunkt, daß Hildesheim als landsässige Stadt
zu eigenmächtiger Neuordnung ihres Kirchenwesens nicht berechtigt sei. Für diese Rechtsauffassung
fand er kein Verständnis, wie denn einige Jahre später Melanchthon seine entgegengesetzte Rechts-
theorie zur Geltung brachte (s. unten!). — Bewaffnete Bürger veranstalteten Aufläufe und Anschläge
gegen die Sicherheit des Bischofs. Am Allerheiligentage wurden altgläubige Männer und Frauen mit

26 Unten S. 880.

27 Vgl. allgemein zu presbyterialen Ansätzen in Bugenhagens KOO: Ernst Wolf, Johannes Bugenhagen und die
‚Ordnung der Gemeinde‘ in: Zwischenstation. Kupisch-Festschrift 1963, 293.

28 Vgl. oben S. 804, Anm. 12, und unten Abschnitt ‚Organist, Küster, Kastenherren‘“ S. 822f.

29 Vgl. A. Sprengler-Ruppenthal, Bugenhagen und das protestantische Kirchenrecht, 205f.

30 S. den Abschnitt

31 Sechling VI, 1, 22 ff.

32 E. Michelsen, Die schleswig-holsteinische Kirchenordnung von 1542, Schriften d. Vereins f. schleswig-holsteini-
sche Kirchengeschichte, Reihe 1. Heft 10, 1920.

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