7. Das Konsistorium
Die Ausschaltung der geistlichen Jurisdiktion machte es erforderlich, die Zuständigkeit insbe-
sondere in strittigen Ehefällen neu zu regeln1.
Ohne daß die Bezeichnung verwendet wird, enthält bereits die KO von 1544 eine Bestimmung zur
Einsetzung einer Art von Konsistorium als Ehegericht. Der Rat soll für die streitigen Ehesachen ein
Richterkollegium erwählen, bestehend aus zwei Ratsherren und sechs Gliedern der Gemeinde, die die
gelehrtesten sind. Zunächst soll der Stadtschreiber die Klage annehmen und wo möglich, nicht jeweils
das ganze Kollegium heranziehen, sondern die Sache unter Hinzuziehung von ein oder zwei Mitgliedern
richten. Die sich ohne weiteres stellende Frage, nach welchem Recht hier gerichtet werden soll, wird außer
mit dem Hinweis auf alle geschriebenen Rechte dahin beantwortet, daß man nun auch andere gute Bücher
von Ehesachen hätte, die als Richtschnur gelten könnten. Wir werden unter diesen „anderen guten Büchern“,
das reformatorische Schrifttum, insbesondere Luthers und Bugenhagens, zu den Problemen des Ehe-
rechts anzunehmen haben2 . Unter den geschriebenen Rechten aber sind das römische und das kanonische
Recht zu verstehen. Allem Anschein nach hat man sich, wie anderenorts, so ebenfalls in Hildesheim,
auch späterhin noch des kanonischen Rechts bedient und von Fall zu Fall „dispensiert“3. Wenn Bugen-
hagen hervorhebt, daß die Mitglieder des Ehegerichts besonders gelehrt sein müßten, so ist demnach in
erster Linie an Juristen zu denken, beider Rechte kundig. Theologen sind jedoch nicht ausgeschlossen.
Im Hinblick auf die in den Schriften Luthers und Bugenhagens zu den streitigen Ehesachen weithin
beherrschenden Gesichtspunkte der Seelsorge ist die Beteiligung von Theologen sogar nahegelegt. — Bereits
am 21. Februar 1543 ließ der Rat eine kurze Eheordnung ausgehen, durch die Ehebruch, Hurerei und
außereheliche Beiwohnung verboten werden. Den Pfaffen wird geboten, ihre Konkubinen zu heiraten.
Zwei Herren werden mit der besonderen Aufsicht in diesen Dingen betraut. Erste Anfänge einer konsi-
storialen Tätigkeit des Rates schlagen sich hier nieder4. Noch häufiger ergingen in der Folgezeit Mandate
gegen den Ehebruch5. Der städtischen Sittenordnung von 15626 zufolge sollten die Verlöbnisse nur mit
Vorwissen der Eltern oder Vormünder vorgenommen werden und dann nicht lösbar sein. Im übrigen
behielt sich der Rat vor, bei schwierigen Verlöbnisangelegenheiten - wenn ein Verlöbnis tatsächlich
nicht eingehalten werden konnte -, mit dem Superintendenten und Prädikanten zu entscheiden. Ehe-
1 Bis 1539 lag die Gerichtsbarkeit in Ehesachen bei den Archidiakonen, um dann an den Offizial überzugehen ; vgl.
G. Schrader, 144.
2 S. Anmerkung zum Text, unten S. 884.
3 Vgl. die Andeutungen über die Behandlung der Ehesachen bei J.H.Gebauer, Das Hildesheimer Stadtkonsistorium,
18. Allgemein zur Fortgeltung des kanonischen Rechts, insbesondere des Eherechts, in den protestantischen Territo-
rien s. J. Heckel, Das blinde, undeutliche Wort ‚Kirche‘. 1964, bes. 25f.
4 Unser Text Nr. 2, unten S. 885f.
5 Stadt-A. Hildesheim, Akte 173/1, 30 von 1549 (Konzept):
"Densulven unsern hern, dem rade und 24 man, kumpt ock eigentlick und warhaftig vor und hebben de vorfaringe,
dat leider veler unschickliger dinge tigen godlige gebode dorch den ehebrock van echtenluden und andern mit echten-
luden, ock sunstent dachlickes geschut, darmede gedachte rade und 24 mannen, alße dejennen to sulliger boverie,
unschicklickheit und andern unordentligen dengen dorch ernstlig straffent ein flitich upsehnt to dragen, alße hir tor
stede der overicheit gebort, beswerlig lank to gedulden. Gebeden darumb allen inwonern mit ganzem ernste und willen,
dat sick ein ider, he sy fruwe ader man, fromelick, redelick und wu echtenluden getemet und sust den fromen gebort,
geborlick holden, den lastern und schanden afsta und genslig entholden, und ein iderman und fruwe de sine deß
warschuwe und warne. Und wur jemant in sinem bosligen vornehmen beharrede und dat gesehn ader sust vernohmen,
wu dat tokeme, geschen und vor den rad und 24 man keme und gebrocht, denn ofte de, hogeß und nedern stateß,
nemande darvan gesundert und utbescheiden, fruwen und manne, gesind und andere, willen rad und 24 man ernstlig
sunder jennich begnadent straffen, dat ein ander sick daran speigele und gedenken wart. Willen ock nu mer darto
dapper schicken und des flitige vorfroschunge dohn laten. Darna sick ein ider wette to richten, und bewar sick und der
siner ehre und schaden ...“
6 Text Nr. 5 nach einer zeitgenössischen Abschrift im Stadt-A. Hildesheim, Hs. Altstadt 153c, fol. 153b-155b, unten
S. 895ff.
818
Die Ausschaltung der geistlichen Jurisdiktion machte es erforderlich, die Zuständigkeit insbe-
sondere in strittigen Ehefällen neu zu regeln1.
Ohne daß die Bezeichnung verwendet wird, enthält bereits die KO von 1544 eine Bestimmung zur
Einsetzung einer Art von Konsistorium als Ehegericht. Der Rat soll für die streitigen Ehesachen ein
Richterkollegium erwählen, bestehend aus zwei Ratsherren und sechs Gliedern der Gemeinde, die die
gelehrtesten sind. Zunächst soll der Stadtschreiber die Klage annehmen und wo möglich, nicht jeweils
das ganze Kollegium heranziehen, sondern die Sache unter Hinzuziehung von ein oder zwei Mitgliedern
richten. Die sich ohne weiteres stellende Frage, nach welchem Recht hier gerichtet werden soll, wird außer
mit dem Hinweis auf alle geschriebenen Rechte dahin beantwortet, daß man nun auch andere gute Bücher
von Ehesachen hätte, die als Richtschnur gelten könnten. Wir werden unter diesen „anderen guten Büchern“,
das reformatorische Schrifttum, insbesondere Luthers und Bugenhagens, zu den Problemen des Ehe-
rechts anzunehmen haben2 . Unter den geschriebenen Rechten aber sind das römische und das kanonische
Recht zu verstehen. Allem Anschein nach hat man sich, wie anderenorts, so ebenfalls in Hildesheim,
auch späterhin noch des kanonischen Rechts bedient und von Fall zu Fall „dispensiert“3. Wenn Bugen-
hagen hervorhebt, daß die Mitglieder des Ehegerichts besonders gelehrt sein müßten, so ist demnach in
erster Linie an Juristen zu denken, beider Rechte kundig. Theologen sind jedoch nicht ausgeschlossen.
Im Hinblick auf die in den Schriften Luthers und Bugenhagens zu den streitigen Ehesachen weithin
beherrschenden Gesichtspunkte der Seelsorge ist die Beteiligung von Theologen sogar nahegelegt. — Bereits
am 21. Februar 1543 ließ der Rat eine kurze Eheordnung ausgehen, durch die Ehebruch, Hurerei und
außereheliche Beiwohnung verboten werden. Den Pfaffen wird geboten, ihre Konkubinen zu heiraten.
Zwei Herren werden mit der besonderen Aufsicht in diesen Dingen betraut. Erste Anfänge einer konsi-
storialen Tätigkeit des Rates schlagen sich hier nieder4. Noch häufiger ergingen in der Folgezeit Mandate
gegen den Ehebruch5. Der städtischen Sittenordnung von 15626 zufolge sollten die Verlöbnisse nur mit
Vorwissen der Eltern oder Vormünder vorgenommen werden und dann nicht lösbar sein. Im übrigen
behielt sich der Rat vor, bei schwierigen Verlöbnisangelegenheiten - wenn ein Verlöbnis tatsächlich
nicht eingehalten werden konnte -, mit dem Superintendenten und Prädikanten zu entscheiden. Ehe-
1 Bis 1539 lag die Gerichtsbarkeit in Ehesachen bei den Archidiakonen, um dann an den Offizial überzugehen ; vgl.
G. Schrader, 144.
2 S. Anmerkung zum Text, unten S. 884.
3 Vgl. die Andeutungen über die Behandlung der Ehesachen bei J.H.Gebauer, Das Hildesheimer Stadtkonsistorium,
18. Allgemein zur Fortgeltung des kanonischen Rechts, insbesondere des Eherechts, in den protestantischen Territo-
rien s. J. Heckel, Das blinde, undeutliche Wort ‚Kirche‘. 1964, bes. 25f.
4 Unser Text Nr. 2, unten S. 885f.
5 Stadt-A. Hildesheim, Akte 173/1, 30 von 1549 (Konzept):
"Densulven unsern hern, dem rade und 24 man, kumpt ock eigentlick und warhaftig vor und hebben de vorfaringe,
dat leider veler unschickliger dinge tigen godlige gebode dorch den ehebrock van echtenluden und andern mit echten-
luden, ock sunstent dachlickes geschut, darmede gedachte rade und 24 mannen, alße dejennen to sulliger boverie,
unschicklickheit und andern unordentligen dengen dorch ernstlig straffent ein flitich upsehnt to dragen, alße hir tor
stede der overicheit gebort, beswerlig lank to gedulden. Gebeden darumb allen inwonern mit ganzem ernste und willen,
dat sick ein ider, he sy fruwe ader man, fromelick, redelick und wu echtenluden getemet und sust den fromen gebort,
geborlick holden, den lastern und schanden afsta und genslig entholden, und ein iderman und fruwe de sine deß
warschuwe und warne. Und wur jemant in sinem bosligen vornehmen beharrede und dat gesehn ader sust vernohmen,
wu dat tokeme, geschen und vor den rad und 24 man keme und gebrocht, denn ofte de, hogeß und nedern stateß,
nemande darvan gesundert und utbescheiden, fruwen und manne, gesind und andere, willen rad und 24 man ernstlig
sunder jennich begnadent straffen, dat ein ander sick daran speigele und gedenken wart. Willen ock nu mer darto
dapper schicken und des flitige vorfroschunge dohn laten. Darna sick ein ider wette to richten, und bewar sick und der
siner ehre und schaden ...“
6 Text Nr. 5 nach einer zeitgenössischen Abschrift im Stadt-A. Hildesheim, Hs. Altstadt 153c, fol. 153b-155b, unten
S. 895ff.
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