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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0286
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Kirchenordnung 1573

nennet iudiciales und ceremoniales, hat dieses volk
noch andere, weit höher und nötiger gebot gehabt,
die nicht ein vergengliche ordnung sind, sondern
ewige weisheit Gottes, die mit einem sehr schwachen
namen genennet wird lex moralis, und sind die
zehen gebot, die man aber verstehen sol, wie sie
Gott selbs durch den Herrn Christum und durch
die propheten und aposteln erkleret hat15.
Nun hat Gott in diesem regiment Israel besondere
straffen und gnad erzeigt. Und wiewol ein teil davon
gerissen ist, so ist doch Juda so lang blieben, bis
der Son Gottes und heiland erschienen ist und in
diesem volk öffentlich gepredigt hat und zeugnüs
geben mit grossem mirakeln und ist ein opfer wor-
den und aus dem tode widerumb in das leben

admittunt nisi ritus et facta in hoc prodita, ut essent
signa aliarum rerum, ut sacrificia pontificatus Le-
vitici in hoc prodita sunt, ut essent signa sacerdotii
Christi. Iam infeliciter tractabit allegorias, nisi qui
universae scripturae peritissimus est. Facile autem
iudicabit spiritus, immo sensus communis, quatenus
et in quam partem liceat allegoriis uti. Nec illae
parum conducunt ad intelligendam vim tum legis tum
evangelii, modo apposite tractentur."; vgl. CR 21,
129; MW II, 1, 55. Zur typologischen Schriftaus-
legung (nicht immer streng zu trennen von der alle-
gorischen), in der ,,geschichtliche Fakten (Personen,
Handlungen, Ereignisse, Einrichtungen) als von
Gott gesetzte, vorbildliche Darstellungen, d.h.
Typen kommender und zwar vollkommenerer und
größerer Fakta aufgefaßt werden" vgl. F. Hesse,
RGG3 VI, 1094 (nach L.Goppelt).
15 Vgl. oben S. 1009, Anm. 6. - Die beiden letzten Ab-
sätze wörtlich nach Melanchthon, Der ordinanden
examen 1552, MW VI, 232f.; Sehling V, 185.
16 Infolge der Aufstände der Juden gegen Rom wurde
Jerusalem 70 n.Chr. von den Römern zerstört; vgl.
Josephus, De bello Judaico VI, 9. 10; F. Maass,
RGG3 III, 595. - Die beiden letzten Absätze im all-
gemeinen wörtlich nach Melanchthon, Der ordi-
nanden examen 1552, MW VI, 233; Sehling V, 185.
17 Das römische Recht, unter dem man gemeinhin das
Corpus iuris civilis des Kaisers Justinian († 565)
verstand (umfassend Institutionen, Pandecten oder
Digesten, Codex und Novellen) konnte im Hl. röm.
Reich (speziell Reichskammergericht) auf Grund der
Tätigkeit der Glossatoren (Ende des 11. bis Mitte des
13. Jh.s, Schule in Bologna, Haupt der Schule: Ir-
nerius, Zusammenfassung der Arbeit der Schule um
1250 durch Accursius in der glossa ordinaria) und
besonders der Postglossatoren praktisch rezipiert
werden. Der praktischen ging die theoretische Re-

auferstanden und hat den heilgen Geist gesendet
etc.
Darnach hat Gott dieses regiment nicht lenger
erhalten, hat auch darmit der welt ein schrecklich
zeugnüs und erinnerung, wie er den unglauben und
andere sünde straffen wolle, fürgestellet, und sind
Jerusalem und andere stedte durch die Römer
grausamlich zerstöret worden16.
Damit sind gefallen ihre vergenliche gesetz,
iudiciales und ceremoniales,und ist in keinem weg
Gottes wille, das man dieselbigen widerumb auf-
richten sol, wie etliche mal ungelarte, uffrührische
menner sich unterstanden haben, die gewöhnlichen
römischen recht17 abzutun und mit den landgütern
andere ordnung zu machen, wie Müntzer18 und

zeption voraus, indem man die Überzeugung ge-
wann, daß das römische Recht in Deutschland
Geltungsanspruch habe, insofern als Reich und
Kaisertum als in römischer Tradition stehend ange-
sehen wurden. Zur Kompilation des römischen
Rechts im Corpus iuris vgl. F. Wieacker, Vom
römischen Recht2 . 1961, 242ff.; Edition des Corpus
iuris civilis von P. Krueger, Th.Mommsen, R.
Schoell, G.Kroll, Vol. I18. 1965; II13. 1963; III8.
1963. - Zur Rezeption vgl. E. v. Künßberg, Hand-
wörterbuch der Rechtswissenschaft V. 1928, 128ff.;
zu den Glossatoren A. Steinwenter, ibid. III.
1928, 4.
18 Vgl. etwa Ausgedrückte Entblößung 1524: ,,Ey,
warumb wirt bruder sanftleben und vatter leysentret
(Luther) also heftig und gar schellig? ... Ja, er mey-
net, er wolt gerne seyne fürgenummene lüst alle inß
werk füren, seyne pracht und reychtumer behalten
und gleychwol eynen bewerten glauben haben...
Darneben ist auch eyn unmügligkeyt im Matheo. 6
angestellet, den unglaubigen wollüstigen sagende:
Ihr künnet nit Gott und den reychtumern dienen.
Wer dieselbigen ehr und gütter zum besitzer nimpt,
der muß zuletzt ewig von Gott leer gelassen wer-
den... und darüber müssen die gewaltigen, eygen-
sinnigen, unglaubigen menschen vom stul gestossen
werden, darumb das sie den heyligen, warhaftigen
christenglauben in ihn und in der ganzen welt ver-
hindern...". Vgl. auch Bekenntnis Thomas Müntzers
vom 16. Mai 1525: ,,Peynlich bekant... Omnia sunt
communia, und sollten eynem idern nach seyner
notdorft ausgeteylt werden nach gelegenheyt."Siehe
Thomas Müntzer, Schriften und Briefe (Quellen und
Forschungen zur Reformationsgeschichte 33), hrsg.
von G. Franz. 1968, 282. 547f.; dazu W. Elliger,
Thomas Müntzer. Leben und Werk. 1975, 536ff.
787ff.

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