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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0290
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Kirchenordnung 1573

setze gepredigt wird, das das sey ein judasbusse und
ewige verzweiflunge4 sondern das ist war, wenn
man es bey der predigt des gesetzes allein wolt
bleiben lassen und nicht alsbald auch die vergebung
der sünden auf die busse durch das evangelion für-
tragen wolte, so würde und were es eine jüdische
verzweiflung. Also aber würde auch das gesetze
nicht recht geprediget. Nam finis legis est Christus,
ad iustitiam credenti, Roma 10 [4]. Und Gott be-
schleusst durchs gesetz alles unter die sünde, auf
das er sich aller erbarme und die verheissung kome
durch den glauben an Christum, Rom. 11 [32],
Galat. 3 [22]: Et lex est paedagogus ad Christum.
Es tun auch die groben Flaccianer5 unrecht, die da
den tertium usum legis verwerfen, als solte das ge-
setz den bekerten und verneuerten darzu nicht
dienstlich sein, das es sie berichte, was sie zum neuen
gehorsam für gute werke tun sollen6. Es sind ja die
gleubigen in dieser welt nicht der gestald gerecht,
das sie volkomen neu geborn und keine sünde mehr
an ihnen haben, sintemal die sünde ihnen anhangt
ihr lebelang, darwider sie bis in den todt zu kemp-
fen haben. Darzu behelt das fleisch für und für sein
lust, begird und neigung zum sünden, das also die
auserwelte kinder Gottes in dieser welt ihren er-

4 Dazu Luther, Schmalkaldische Artikel, Bek. Schr.,
437: ,,Wo aber das gesetz solch sein ampt allein treibt
ohn zutun des evangelii, da ist der tod und die helle,
und muß der mensch verzweifeln wie Saul und Ju-
das...".
5 ,,groben Flaccianer" fehlt bei Chemnitz, Kurzer,
einfeltiger... bericht...; Sehling VI, 1, 100. - Zu
Flacius oben S. 1006, Anm. 25. Major sollte sein Amt
als Superintendent in Eisleben antreten, da ließ
Nikolaus von Amsdorf im November 1551 erschei-
nen: Das doctor Pomer vnd Doctor Major... erger-
nis vnd zurtrennung angericht... haben. Darin warf
Amsdorf Major vor, daß er geschrieben hätte, der
Glaube mache fürnehmlich selig und gute Werke
seien nötig zur Seligkeit. Major dagegen: Antwort
auff des Ehrwirdigen Herren Niclas von Ambsdorff
schrifft. 1552, worin er bekannte, stets lehren zu
wollen, gute Werke seien zur Seligkeit nötig; nie-
mand werde durch böse Werke selig, niemand ohne
gute Werke selig - wer anders lehre, der solle ver-
flucht sein. Dagegen wandten sich Amsdorf, Flacius
und Nikolaus Gallus in Magdeburg 1552 jeder in einer
besonderen Schrift. Major rechtfertigte sich in einer
Predigt, Ein Sermon von S. Pauli vnd aller Gott-

gesten feind stetigs bey sich in busem tragen, dar-
über S. Paulus zum Römern 7. cap. [18ff.] klaget:
Ich weis, das in mir, das ist, im [!] meinem fleisch
nichts gutes wonet. Das gesetz in meinen gliedern
nimpt mich gefangen in das gesetz der sünden,
welchs ist in meinen gliedern.
Weil denn das fleisch stettigs gelüstigt wider den
Geist und der Geist wider das fleisch, spricht S.
Paulus [Rm 7, 20]: das ihr nicht tut, was ihr wollet,
so befindet sich, das der gleubig mensch, ob er
gleich widergeborn ist, dennoch stettigs an und in
sich viel schwacheit, sünde und gebrechligkeit hat,
welches denn ein richtig urteil in dieser zwispalt
gibt.
Denn sofern der gleubig mensch widergeboren
ist, folget er dem Geist Gottes, der in ihme ist, als
die regel und richtschnur der gerechtigkeit und
heiligkeit. Soferne er aber noch sünde an sich hat,
gebraucht der heilig Geist die lehr und vermanungen
des gesetzes des Herrn, von dessen gehorsam die
Christen nicht absolviert noch ledig gesprochen,
sondern darumb zu gnaden aufgenomen seind, das
sie hinfure im gehorsam der gebot Gottes leben und
wandeln sollen.
Denn da gleich der mensch nicht gefallen und

fürchtigen menschen bekerung zu Gott, gedruckt
1553 in Leipzig. Inzwischen veröffentlichte Flacius
Zensuren der niedersächsischen Geistlichen, der
Hamburger, Lübecker und Magdeburger; vgl. C.
Schlüsselburg, aaO. VII (1599), 561ff.: ,,Sententia
ministrorum Christi in ecclesia Lubecensi, Ham-
burgensi, Lunaeburgensi et Magdeburgensi, de cor-
ruptelis doctrinae iustificationis..." 1553. Obwohl
Major sich zu mäßigen suchte, ergingen weitere An-
klageschriften gegen ihn, z.B. ,,Sententia et con-
fessio de corruptela articuli de iustificatione seu de
propositione: Bona opera sunt necessaria ad salutem
contra D. Georgium Majorem" der Mansfeldischen
Prediger 1560; vgl. Schlüsselburg, aaO. VII,
223ff. Schon gar Flacius gab sich noch nicht zufrie-
den. Vgl. Schlüsselburg, aaO. VII, 28ff.; P.
Tschackert, aaO. 514ff.; R. Seeberg, aaO.
485ff.; G. Kawerau, RE3 12, 88f.; F. Brunstäd,
aaO. 107ff.; A. Adam, aaO. II, 365f. Vgl. auch
oben S. 1013f., Anm. 1; Bek. Schr., 936f., Anm. 6;
962, Anm. 3.
6 Bis hier im allgemeinen wörtliche Anlehnnug an
Chemnitz, Kurzer, einfeltiger... bericht...; Seh-
ling VI, 1, 100.

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