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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0295
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Grafschaft Oldenburg

und dergleichen, welche das wort und predigampt
verkleinern und ihnen selbserdichte innerliche er-
leuchtung, endgröbung, entzückung einbilden, von
denen allem geschrieben stehet Esaie 8 [19f.]:Wenn
sie zu euch sagen: Ihr müsset die zeichendeuter
fragen, die da schwetzer und klug sein wollen, so
sprechet: Sol nicht ein volk seinen Gott fragen, oder
sol man die todten für die lebendigen fragen? Ja,
nach dem gesetz und zeugnüs, werden sie das nicht
sagen, so werden sie die morgenröte nicht haben.

Was ist denn nun die unterscheid des
gesetzes und des evangelii9?
Diese unterscheid ist der heubtleute10 eine in der
kirchen. Und wo man sie verleschen lest (wie sie
denn bey den papisten ausgetilget ist), folget grau-
same blindheit, das man dichtet, der mensch sey
gerecht durch seine werk und verdiene vergebung
der sünden mit eigen werken etc.11 . Und dieweil doch
alle menschen sünde bey sich fülen, bleiben sie im
zweifel, können Gott nicht anruffen und sinken end-
lich in verzweifelung und ewigen todt, und wissen
nicht, warumb der Son Gottes gesand ist, wie die
phariseer bey den Jüden in solcher blindheit steck-
ten und hatten den rechten verstand von messia
verlorn.
Aber Gott hat für und für propheten erwecket,
die rechte unterscheid des gesetzes und der ver-
heissungen gepredigt haben, wie auch der Herr
Christus selbs und die aposteln hernach geleret
haben12 .
Das gesetz ist diese ewige, göttliche weisheit, wie

9 Melanchthon, Der ordinanden examen 1552, MW
VI, 186; Sehling V, 166: Unterschied zwischen dem
gesetz und dem evangelio. Vgl auch oben S. 1013f.
mit Anm. 1.
10 Melanchthon, aaO.: heubtlere.
11 Vgl. z.B. Gabriel Biel, Coll. in sent. III, dist. XIX,
quaest. unica, art. 2, concl. 5: ,,licet Christi passio
sit principale meritum, propter quod confertur gra-
tia, apertio regni et gloria, nunquam tamen est sola
et totalis causa meritoria. Patet, quia semper cum
merito Christi concurrit aliqua operatio tanquam me-
ritum de congruo vel de condigno recipientis gratiam

gesagt ist, die Gott auch in die vernünftige creaturn
gebildet hat in der erschaffung13 und hernach im
predigampt für und für erholet. Die leret und be-
zeuget, das man Gott recht erkennen sol, und das
man ihm gehorsam schüldig sey, und wie derselbig
gehorsam in allen unsern kreften sein solt, und ist
also nach der sünd ein schrecklich urteil wider alle
menschen. Denn kein mensch, on allein der Son
Gottes, hat diesen ganzen gehorsam. Und gibet das
gesetz nicht vergebung der sünden, sondern zeuget
allein von Gottes zorn uber die sünd14
Und obwol verheissungen an das gesetz gehengt
sind, so fordert es doch ganzen gehorsam dabey,
spricht nicht, das Gott ohne unser verdienst sünde
vergebe und wegneme etc.
Aber das evangelium ist eigentlich die gnedige,
fröliche predigt vom Son Gottes, Jhesu Christo, der
in dem wunderbarlichen rat göttlicher majestet zum
mittler und versöner und zu unser gerechtigkeit
und zum seligmacher verordnet ist.
Diese predigt strafft erstlich auch alle sünd und
fürnemlich diese grosse sünd im ganzen menschli-
chen geschlecht, das auch nach gegebner verheis-
sung die welt den Son Gottes nicht erkennen wil.
Darumb spricht der Herr selbst im 16. cap. Johan-
nis [8]: Der heilige Geist wird die welt straffen von
wegen der sünd, das sie nicht an mich gleuben. Und
der ander Psalm spricht [2, 12]: Osculamini Filium
etc.
Und neben diesem straffen des unglaubens und
aller anderer sünden verkündiget das evangelium
diesen ewigen, gnedigen trost, das uns Gott gewis-
lich umb seines Sons Jhesu Christi willen geben wil
aus gnaden, ohn unser verdienst, gratis, vergebung
der sünd und wil uns umb seins Sons willen gerech-
vel gloriam". Vgl. dazu R. Seeberg, Lehrbuch der
Dogmengeschichte III4. 1930, 786.
12 Die beiden letzten Absätze im allgemeinen wörtlich
nach Melanchthon, Der ordinanden examen 1552,
MW VI, 186; Sehling V, 166.
13 Zum Naturrecht bei Melanchthon vgl. oben S. 989
mit Anm. 15.
14 Der Absatz im allgemeinen wörtlich nach Melan-
chthon, Der ordinanden examen 1552, 2. Witten-
berger Druck, MW VI, 186 mit Anm. 28 a; vgl.
Sehling V, 166. Dort am Schluß: zorn wider die
sünd.

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