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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0294
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Kirchenordnung 1573

Darumb auch Paulus sagt 1.Cor. 4 [15]: Ich habe
euch gezeuget in Christo Jhesu durchs evangelium.
Und Johannis 20 [31] stehen deutliche, klare wort:
Diese ding sind geschrieben, das ihr gleubet, Jhesus
sey Christ, der Son Gottes, und das ihr durch den
glauben (welcher aus der predigt kömpt, das predi-
gen aber durch das wort Gottes, Rom. 10 [17]) das
leben habet in seinen namen. Item Rom. 15 [4]:
Was uns fürgeschrieben ist, das ist uns zur lehr ge-
schrieben, auf das wir durch gedult und trost der
schrift hoffnung haben. Item 2. ad Timoth. 3 [16f.]:
Alle schrift, von Gott eingegeben, ist nütz zur lehr,
zur straff, zur besserung, zur züchtigung in der ge-
rechtigkeit, das ein mensch Gottes sey volkomen,
zu allen guten werken geschickt.
Ist denn der heilige Geist auch nicht
ausserhalb und ohne das wort und brauch
der sacrament in der menschen
herzen kreftig ?
Antwort:
Mit nichten. Und ist nicht allein ein grosse tor-
heit und vermessenheit, sondern auch ein rechte,
grosse gotteslesterung und verdamliche unsinnig-
keit, Gottes wort und die mittel, die Gott selbst
und sein ewiges, wesentliches wort, nemlich sein
eingeborner lieber Son, und der heilige Geist hat
eingesetzt und uns fürgestellet, das wir dasselbig
hören, dieselben brauchen und dadurch gewonnen
6 Die spiritualistischen Anschauungen waren beson-
ders in der benachbarten Grafschaft Ostfriesland
verbreitet; vgl. Ostfriesische KO von 1529, Sehling
VII, 1, 361ff. und die Kommentierung ibd. (bes. die
Auszüge aus dem Bericht des Grafen Enno an den
Landgrafen von Hessen vom 25. März 1530 über die
kirchlichen Verhältnisse in seinem Land). Vgl. auch
oben S. 997, Anm. 9.
7 = Schwenckfelder. ,,Stenckfeldt" auch z.B. bei
Melanchthon, Antwort auf den 22. Artikel der
Bayern; MW VI, 323. Anhänger des Kaspar von
Schwenckfeld (1489-1561). Schwenckfeld stammte
aus schlesischem Adel, studierte in Köln und Frank-
furt/O., war zeitweise Hofrat bei Friedrich II. von
Liegnitz, früh evangelisch gesonnen, jedoch bald im
Streit mit Luther, später im Konflikt mit den Ober-
deutschen und den Schweizern, zu ruhelosem
Wanderleben verurteilt. Seit seiner Verdammung
auf dem luth. Theologenkonvent zu Schmalkalden
1540 wurde er den Täufern an die Seite gestellt.
Schwenckfeld lehrte die Unkreatürlichkeit der

und bekeret werden sollen, hindan setzen, verach-
ten, gering schetzen, extenuiern und versaumen und
dieweil andere, frembde gedichte und wahn aus
eigner vernunft und ungewisser, ungegründer an-
dacht fassen und sonderliche speculationes und en-
thusiasmos ohne das wort und dem wort zuwider
ertreumen und lesterlich dichten und fürgeben, als
wolle und solle der heilige Geist in uns wirken und
kreftig sein, ob wir uns gleich zum wort und der
predigt und zu den heiligen sacramenten nicht
halten6. Und ist dieser schwarm durchaus der gan-
zen lehr des heiligen evangelii zuwider, sintemal
Paulus von dem predigampt ausdrücklich sagt, das
es sey das ampt des Geistes, das den Geist gibt und
uberschwenkliche klarheit hat, 2.Corinth. 3 [6].
Und ist gewis, das alle menschen, die das wort
verachten, allen glauben, trost, fried und heiligen
Geist verlieren und sind erschrocken, zweifelhaftig
und forchtsam in ihrem gewissen, und können sich
nimermehr zu Gott einiger gewissen gnad versehen,
sie komen denn widerumb zum wort, darin sie den
Herrn Christum finden können. Darumb auch David
sagt: Dein wort ist meines fusses leuchte und ein
liecht auf meinem weg. Wo dein gesetz nicht mein
trost gewest wer, so were ich vergangen in meinem
elend, Psalm 119 [92]. Und der Son Gottes betet
selbs: Heiliger Vater, heilige sie in deiner warheit,
dein wort ist die warheit, Joan. 17 [17].
Hie fellet nun hinweg alle geukeley der enthusia-
sten, widerteufer, Stenckfelder7, David Georgisten8
menschlichen Natur Jesu. Kreatürlichkeit ist Sünd-
haftigkeit und vom Menschen zu überwinden. Die
Heiligen sollen sich absondern von der kreatürlichen
Kirche. Der Geist ist nirgends an die Materie gebun-
den, also auch nicht an die Sakramente. Schwenck-
feld war - wie David Joris - einer der frühen Ver-
treter des Toleranzgedankens. Die Grundlinien sei-
ner Lehre sind bereits angedeutet in seiner Schrift
,,De cursu verbi Dei, origine fidei et ratione iustifica-
tionis", hrsg. von Ökolampad mit einer Vorrede
Basel 1527. Sammlung der Schriften Schwenckfelds
im Corpus Schwenckfeldianorum I-XIX. 1907-61.
Vgl. C. Schlüsselburg, aaO. X (1599): ,,Liber
Decimus. In quo Stenckfeldistarum errores et argu-
menta repetuntur et refutantur..."; G. Maron,
RGG3 V, 1620f. (Lit.) Vgl. auch oben S. 997, Anm. 9.
FC, Epitome und Solida declaratio XII, Bek. Schr.,
825f. und 1096ff.: ,,Irrige artikel der Schwenck-
feldianer."
8 Zu David Joris vgl. oben S. 993f., Anm. 11.

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