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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0303
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Grafschaft Oldenburg

Zum andern sprechen die bepstlichen: Dieweil
aber niemand weis, wenn er guter werk genug habe,
so sollen alle menschen für und für im zweifel blei-
ben, ob sie vergebung der sünden haben und ob sie
Gott gefellig sind4 . Dieser zweifel ist eitel heidnische
blindheit.
Zum dritten dichten sie, ein mensch könne das
göttliche gesetze in diesem leben erfüllen5. Item,
sie sagen nichts davon, wie der mensch durch das
evangelium und heiligen Geist neu geboren werde6.
Dagegen aber ist die warhaftige lere
in unsern kirchen:
Erstlich, das uns vergebung der sünden gewislich
allein umb des Herrn Christi willen on unsere ver-
dienst aus gnaden geschenkt wird. Und ist gewis-
lich abgötterey, so man dieses vertrauen auf eigene7,
menschliche werk setzet, das sie vergebung der
sünden verdienen und Gottes gerechten und grossen
zorn versünen etc.

Schatz verwaltet und an Bedürftige austeilt. Das
Ablaßwesen hat hier seine theologische Begründung.
Vgl. Thomas, aaO. III Suppl., q. 25 a. 1: ,,...multi
in operibus poenitentiae supererogaverunt ad men-
suram debitorum suorum et multi etiam tribulatio-
nes iniustas sustinuerunt patienter, per quas multi-
tudo poenarum poterat expiari si eis deberetur." Vgl.
dazu Th. H. Simar, Lehrbuch der Moraltheologie3.
1893, 45ff. - Betr. das Meßopfer vgl. etwa Canon
missae, Mementogebet: ,,Memento, Domine, famu-
lorum famularumque tuarum N. et N. et omnium
circumstantium, quorum tibi fides cognita est et
nota devotio, pro quibus tibi offerimus, vel qui tibi
offerunt hoc sacrificium laudis, pro se suisque omni-
bus, pro redemptione animarum suarum, pro spe
salutis et incolumitatis suae, tibique reddunt vota
sua aeterno Deo, vivo et vero."
4 Vgl. Gabriel Biel, Coll. in sent. II, dist. XXVII
quaest. unica, art. 3, dub. 5 q: ,.Homo non potest
evidenter scire, se facere quod in se est, quia hoc
facere includit in se obedire Deo propter Deum tan-
quam ultimum et principalem finem. Quod exigit
dilectionem Dei super omnia, quam ex naturalibus
suis homo potest elicere. Haec enim est proxima dis-
positio ad gratiae infusionem, qua existente cer-
tissime infunditur gratia. Difficillimum autem est
scire, se habere illam dilectionem. Et forte naturali-
ter impossibile. Quia etsi scire possumus nos diligere

Auch leren diese kirchen, das der mensch für Gott
nicht gerecht ist von wegen einiger8 werk, ob sie
gleich nach der widergeburt geschehen, sondern
umb des Herrn Christi9 durch glauben.
Zum andern leret man in unsern kirchen, das
man nicht im zweivel bleiben sol, sondern alle
menschen, die in sünden wider gewissen leben oder
one glauben an den Herrn Christum, die sollen ge-
wislich schliessen, das sie in Gottes zorn sind, und
so sie nicht bekeret werden, fallen sie in ewige
straff. Auch werden sie in diesem leben mit leib-
lichen straffen, blintheit und anderen plagen ge-
strafft werden.
Dagegen aber alle, die schrecken in ihrem herzen
fülen für Gottes zorn und wolten gern zu Gott be-
keret sein und sich bessern, die sollen nicht in
zweifel bleiben, sondern sollen festiglich gleuben,
das Gott ihnen ihre sünd vergeben wolle aus gnaden
umb des Herrn Christi willen. Und sollen also hin-
fürder in gottesfurcht und glauben zunemen und
nicht in sünden wider gewissen verharren. Und die
bekerten sollen gleuben, das sie Gott gefellig10 sind

Deum, non tamen evidenter scire possumus illam
circumstantiam: super omnia." Vgl. dazu H. Rük-
kert, Die Rechtfertigungslehre auf dem Tridentini-
schen Konzil (Arbeiten zur Kirchengeschichte 3).
1925, 192ff.; H. Jedin, Geschichte des Konzils von
Trient II. 1957, 139ff. 201ff.
5 Das neue Gesetz, obwohl es ,,principaliter" ,,ipsa gra-
tia Spiritus sancti" ist, ,,quae datur Christi fidelibus"
(Thomas, Summa theol. 1 II q. 106a.1), so ist es
doch auch eine lex scripta mit statutarischen Gebo-
ten, die darauf abzielt, die Heilsgewißheit aus eige-
nen Leistungen abzuleiten, wobei man dann nur ver-
muten kann (vgl. Anm. 4). Vgl. J. Gottschick, RE3
6, 636. Dabei unterschied man zwischen verschiede-
nen Vollkommenheitsstufen, Räten und Geboten;
vgl. oben Anm. 3.
6 Die Antwort wörtlich nach Melanchthon, Der
ordinanden examen 1552, MW VI, 193f.; Sehling
V, 169.
7 Der Druck von Melanchthon, Der ordinanden
examen im Corpus doctrinae Philippicum, DCCCXI
hat an dieser Stelle: einige.
8 Melanchthon, Der ordinanden examen 1552, MW
VI, 194; Sehling V, 169: eigner.
9 Melanchthon, aaO.: + willen.
10 Melanchthon, aaO., MW VI, 195; Sehling V,
170: + und in gnaden.

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