Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0384
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bremen

Kirchspielgenossen über die Kollaturrechte des Dompropstes hinweggesetzt. Aber auch an den beiden ande-
ren Pfarrkirchen St. Ansgarii und St. Stephani, wo der Gottesdienst bislang von den Stiftsherren gefeiert
worden war und die Kollaturrechte beim jeweiligen Kapitel lagen, gelang es der Gemeinde 1525 bzw. 1526,
ein Pfarrwahlrecht durchzusetzen119. Am 9. April 1526 protestierte Kaiser Karl V. in einem in Esslingen
ausgestellten Mandat, daß die Pfarrer der Liebfrauenkirche und von St. Martini irer pfarren und derselben
heusern, einkomen, renth und und gultten [...] spoliert und die Kanoniker und Vikare der beiden Stiftskirchen
St. Stephani und St. Ansgarii in etlichen iren aufkommen und gerechtigkaiten, so sie irer prebendt halber bisheer
gehabt, entsetzt und die gemein priesterschafft [...] in und ausser irer heusern in viell wegk beleidigt worden sei,
und drohte der Stadt mit Bestrafung wegen Landfriedensbruch120.
In enger Verbindung mit der Berufung evangelischer Prediger stand die Erneuerung des Gottesdienstes.
Bereits vor der Berufung von Probst und Timann hatten die Bürger in einer Eingabe an den Dompropst um
die Abhaltung der Taufe in deutscher Sprache und die Feier des Abendmahls unter beiderlei Gestalt gebe-
ten. Der Dompropst hatte die Bitte aber abgelehnt. 1525 ergriffen der Rat und die Gemeinden dann wohl
selbst die Initiative121. Ein entsprechendes Mandat ist zwar nicht erhalten, aber in der Bremer Chronik
heißt es unter dem Jahr 1525: In dessen jaer is tho Bremen in den kercken eine grote voranderinge der cere-
monien geschehen, wente de latineschen gesange sin vorandert in dudesche psalmen [...], dat hillige evangelium
dar rein in gelert, de ungodtliken papistischen ceremonien unde gesenge gentzliken hengenamen unde christlike
gesenge in de stede vorordent unde angenamen, de hillige dope in dudesche spracke bestediget, ock dat hochwerdige
hillige sacrament Jesu Christi sines lives und blodes in beider gestalt na des herrn Christi insettinge unde sinem
hilligen lesten willen einen ideren christen uthgedelet122.
Zu den Veränderungen des Gottesdienstes muß es bereits vor dem Herbst 1525 gekommen sein, denn bei
den nach Michaelis 1525 im Kapitelsaal des Domkapitels abgehaltenen Schiedsverhandlungen zwischen der
Stadt und dem Erzbischof (vgl. die Einleitung zu Nr. 3a und b) wurden sie als bereits vorhanden voraus-
gesetzt. Die Messe wurde nur noch im Dom und in den beiden Kirchen der Bettelordenskonvente sowie in
einigen kleineren Kapellen gefeiert.
1. Evangelische Messe, 1525 (Text S. 403)
In die Zeit des Übergangs zum evangelischen Gottesdienst in Bremen gehört auch die Veröffentlichung des
Formulars einer Deutschen Messe in niederdeutscher Sprache: „Eyne evangelysce Misse mit etlijke schone
gebede“ ist der früheste Bremer Druck. Er erschien 1525 als erster von insgesamt fünf im VD 16 nachweis-
baren Drucken einer Offizin, die nur durch das von ihr verwendete Kürzel A. D. W. hervorgetreten ist123.
Bei dem Druck handelt es sich um die Übertragung der von dem Nördlinger Karmeliterprior Kaspar Kantz
im Jahr 1522 veröffentlichten „Evangelischen Mesß“124. Die Kantzsche Messe, die nur den Abendmahlsteil
enthält, erlebte eine außerordentlich weite Verbreitung; von Smend sind insgesamt neun verschiedene Aus-
gaben nachgewiesen worden125.
Die Übertragung der Messe ins Niederdeutsche stammt von dem Prediger der Liebfrauenkirche Jakob
Probst. Mit dem Titel „Eyne [...] Misse“ deutet Probst an, daß es sich hier nur um eine mögliche Form der
Feier des Abendmahls handelt. Auch in dem von ihm verfaßten Prolog betont er, in Anlehnung an Luthers
Vorrede zur „Deutschen Messe“, daß er den Glauben nicht durch die Aufstellung einer neuen Regel behin-

119 Vgl. Quellen zur Reformationsgeschichte (Auszüge aus
Chroniken), S. 229f.
120 Abdruck des Mandats in: Quellen zur Reformationsge-
schichte (Urkunden), Nr. 15, S. 62f.
121 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 69.
122 Vgl. Quellen zur Reformationsgeschichte (Auszüge aus
Chroniken), S. 228.

123 Vgl. Reske, Buchdrucker, S. 123.
124 Der Text „Von der Evangelischen Mesß“ ist ediert in
Smend, Messen, S. 73-78 und Sehling, EKO XII,
S. 285-288. Zu dieser Messe vgl. als Überblick TRE 2,
S. 1f.
125 Vgl. Smend, Messen, S. 83-94.

364
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften