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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0388
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Bremen

C. Aufruhr und Reaktion. Die lutherische Phase der
Bremer Kirche (1530-1555)
Die Jahre 1530 bis 1532 sind in Bremen von sozialen Unruhen geprägt, die schließlich in einer Verfassungs-
krise mündeten. Dabei spielte wie bei früheren Konflikten die Frage der Beteiligung der Bürgergemeinde
am politischen Entscheidungsprozeß eine wichtige Rolle. Hinzu kamen aber auch religiöse Forderun-
gen144. Nach Seven reichen die Wurzeln der Unruhen bis in die Anfangsjahre der Reformation zurück145. Ihr
eigentlicher Auslöser im April 1530 war dann ein Streit über die Bürgerweide (Allmende). Mitglieder des
Rates und des Domkapitels sowie der Komtur des Deutschen Ordens wurden beschuldigt, sich auf Kosten
der Allgemeinheit unrechtmäßig Teile der Bürgerweide angeeignet zu haben. Der Rat setzte daraufhin einen
Ausschuß zur Behandlung der Weidefrage ein146. Schon bald aber wurden weitergehende Forderungen laut,
wie die Bildung eines aus Mitgliedern des Rates, der Kaufleute und Ämter sowie der Gemeinden bestehen-
den 75er-Kollegiums, das die städtischen Finanzen kontrollieren und dem Rat als Gremium zur Seite treten
sollte. Damit war dessen durch das Stadtrecht von 1433 garantierte Vollmächtigkeit in Frage gestellt. Es
wurde aber auch auf eine striktere Umsetzung der Reformation gedrungen: So wurden Anliegen vorgetragen
wie die Besetzung öffentlicher Ämter ausschließlich mit evangelischen Bürgern und die Besteuerung der
Geistlichen147.
1531 spitzte sich der Konflikt zu: Eine Volksmenge stürmte die Deutschordenskommende und tötete
den Komtur, den man als einen der Hauptschuldigen am Weidekonflikt ausgemacht hatte. Als den Dom-
herren mit einem ähnlichen Schicksal wie dem Komtur gedroht wurde, verließ das Domkapitel die
Stadt148. Mit der Wahl eines Ausschusses von 104 Männern durch die Kirchspiele (26 Vertreter aus jedem
der vier Kirchspiele), der fortan zusammen mit dem Rat in städtischen Angelegenheiten entscheiden sollte,
wurde Anfang 1532 die Vollmächtigkeit des Rates dann tatsächlich beseitigt149.
Schon bald geriet das Kollegium der 104 in Konflikt mit den Prädikanten. Die Ursache waren Predigten
der evangelischen Geistlichen, in denen das Kollegium als „widergöttlich“ bezeichnet wurde. Bei einem
Treffen von Vertretern des Kollegiums mit den Geistlichen hielt Jakob Probst den 104 vor, durch den Sturz
des Rates die göttliche Ordnung verlassen und Anlaß zu Aufstand und Mord und zur Verachtung der
Prediger gegeben zu haben. Kurze Zeit später verließen Probst und Timann die Stadt. Sie schlossen sich
damit den Bürgermeistern und Teilen des Rates an, die bereits Anfang April aus der Stadt gezogen

waren150 .
Im August 1532 brach das Regiment der 104 zusammen und am 5. September kehrten die aus der Stadt
ausgezogenen Bürgermeister und Ratsherren in feierlichem Zug nach Bremen zurück. Die Anführer des
Kollegiums der 104 wurden hingerichtet. Die alten Macht- und Herrschaftsverhältnisse zwischen Rat und
Gemeinde wurden wiederhergestellt und durch die „Neue Eintracht“ und die „Kirchenordnung“ (Nr. 4a)
gefestigt. In die Zeit nach der Rückkehr des alten Rates fällt auch die Verständigung mit dem Domkapitel
und Erzbischof Christoph (Nr. 3a und b). Die Verträge sind ein Zeichen der vom Rat nach dem Nürnberger
Anstand verfolgten Ausgleichspolitik. Mit ihnen sicherte der Rat den Bestand der evangelichen Kirche
nach außen hin151.
Anfang 1531 schloß sich Bremen dem Schmalkaldischen Bund an. Johannes Timann unterzeichnete
1537 die Schmalkaldischen Artikel und „De potestate et primatu papae“152. Mit erheblichen finanziellen
Aufwendungen erreichten die Bremer Gesandten auf dem Regensburger Reichstag 1541 eine Bestätigung

144 Vgl. Schwarzwälder, Geschichte 1, S. 185 und 204;
Seven, Aufstand, S. 16.
145 Vgl. Seven, Aufstand, S. 21.
146 Vgl. Schwarzwälder, Geschichte 1, S. 185-187.
147 Vgl. Seven, Aufstand, S. 24

148 Vgl. Schwarzwälder, Geschichte 1, S. 187f. und 190f.
149 Ebd., S. 191-194.
150 Vgl. Seven, Aufstand, S. 26f.
151 Vgl. TRE 7, S. 157.
152 BSELK, S. 782 mit Anm. 590 und S. 836 mit Anm. 156.

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