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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0387
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Einleitung

schulden, durch Krankheit, Gebrechen oder andere Unglücksfälle, in Not geraten sind und sich nicht aus
eigener Arbeit erhalten können, und die sich der Unterstützung durch ihr Verhalten auch als würdig erwei-
sen. Die Hilfe ist auf die einheimischen Armen beschränkt (Nr. 4a, S. 467). Bis zu einer besseren Ordnung
(wente dat me ydt beter maken kan) bleibt das Betteln noch erlaubt. Fremde Bettler, arbeitsfähige Personen
und Mönche werden aber in der Stadt nicht geduldet (Nr. 4a, S. 469).
Den Predigern kommt die Aufgabe zu, die Reichen, ebenso aber auch Handwerker und Arbeiter, die
ihrer Beschäftigung nachgehen können, zur Freigebigkeit anzuhalten. Für diese Aufgabe sind im Abschnitt
„Umme dat volck tho gevende tho bewegen“ der Kirchenordnung zahlreiche Bibelstellen gesammelt, in
denen die Belohungen des großzügigen Gebers und die Strafen der diese Pflicht Versäumenden aufgezeigt
werden (Nr. 4a, S. 468f.)140.
Die unter Nr. 5 abgedruckte Almosenordnung dürfte wohl einige Zeit nach der Kirchenordnung von
1534 entstanden sein141. In ihr sind eine Reihe von Punkten sehr viel ausführlicher geregelt als in der
Kirchenordnung. Hinzu kommt die Schaffung neuer Ämter im Rahmen der Armenversorgung. So werden
den Diakonen jetzt Helfer zur Unterstützung an die Seite gestellt, deren Besoldung teils durch den Rat,
teils durch die Bauherren der Pfarrkirchen erfolgt. Der Aufgabenbereich der Diakone ist deutlich schärfer
gefaßt: Großer Wert wird vor allem auf eine strenge Aufsicht über die Bedürftigen gelegt und auf die strikte
Scheidung der wirklich Armen von den Müßiggängern. Zur besseren Kontrolle dienen die Anlage von
Registern und die Ausgabe von Zeichen an die Armen. War in der Kirchenordnung von 1534 nur die Rede
von der Einbeziehung der für das Memorialwesen bestimmten Bruderschaftsgelder in die Armenversor-
gung, sollen jetzt alle privaten mildtätigen Stiftungen in einer gemeinen kiste gesammelt werden. Zu deren
Verwaltung werden zwei Generalverwalter eingesetzt. Die Bestrebungen des Rates gehen aber noch weiter
und richten sich auf die Schaffung eines corpus, in das alle Gelder aus den Gotteskisten, aus den Bruder-
schaften und den privaten Stiftungen fließen sollen. Durch die Ernennung der beiden Generalverwalter,
gegenüber denen die Diakone rechenschaftspflichtig sind, und der Rechnungslegung der Generalverwalter
vor dem Rat, sichert sich dieser die Kontrolle über die Armenversorgung.
Die nächste überlieferte Armen- oder Almosenordnung stammt dann erst aus dem 17. Jh. Sie trägt den
Titel „Ordnung [...], wie die Diaconien alda erbaulich zu verwalten“ und datiert vom 7. September 1627.
Entsprechend der Zahl der Diakone und Subdiakone, bei denen es sich wohl um die obengenannten Helfer
handelt, wird die Stadt in Bezirke eingeteilt. Um eine einheitliche Vorgehensweise bei der Versorgung der
Armen zu sichern, ist eine regelmäßige Beratung der Diakone eines Kirchspiels und darüber hinaus eine
gemeinsame Versammlung aller Diakone der Stadt vorgesehen142.
Neben der Versorgung der Armen auf der Ebene der Kirchengemeinden gab es eine Reihe von Institu-
tionen, die sich notleidender Menschen annahm. Zu diesen, unter der Aufsicht des Rates stehenden Einrich-
tungen gehörte das ehemalige Johanniskloster, das neben Kranken auch arme hilflose Bürger beherbergte.
Das einstige Leprosenspital St. Remberti vor der Stadt, das zunächst als Armenhaus gedient hatte, wurde
zu einem Heim für ältere Bürger, die sich hier durch den Erwerb einer Pfründe einkaufen konnten. Von
ähnlichem Charakter war das Ilsabeen-Gasthaus mit seinen zwanzig Pfründen für ältere Frauen. In den
Häusern bei St. Nikolai und St. Jakobi wohnten betagte Witwen, bei St. Stephani gab es ein Haus für alte
Männer. 1599 wurde außerdem das erste Waisenhaus in der Stadt gegründet; es kam zunächst in der
Nikolaikirche unter und wurde dann in das ehemalige Beginenhaus an der Hutfilterstraße verlegt143.

140 Ebd., S. 433: Die Armenversorgung erscheint in der Kir-
chenordnung als Teil des Predigtamtes, wenn auch die
Diakonen den Predigern zur Hand gehen sollen.
141 Zur Datierung vgl. auch Nr. 5, Anm. a und Anm. 1.

142 Vgl. Bippen, Bürgerliche Armenpflege, S. 145f. Eine wei-
tere, von 1645 stammende Ordnung nimmt sich dann vor
allem des Problems des Bettelns an (ebd., S. 146-148).
143 Vgl. Schwarzwälder, Geschichte 1, S. 293f.

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