Beim Tode Ludwigs IV., des Gemahls der Elisabeth von Ungarn, mißbraucht Heinrich Raspe IV.
die Vormundschaft über den noch unmündigen Sohn Ludwigs, Hermann den Jüngeren, und nimmt die
Landgrafenwürde über die gesamten thüringischen Besitzungen in Anspruch. Hermann d.J. († 1242)
und Heinrich Raspe IV. († 1247) 2 sterben kinderlos; damit erlischt das thüringische Landgrafenhaus
im Mannesstamm. Als Erben stehen sich Heinrich der Erlauchte von Meißen3 und Sophie, Tochter
Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen, und Gemahlin Herzog Heinrichs II. von Lothringen und
Brabant4, im Namen ihres Sohnes Heinrich, des Kindes von Hessen, gegenüber. Die Ansprüche beider5
führen zum thüringisch-hessischen Erbfolgekrieg (1247-1264), an dessen Ende die Selbständigkeit
Hessens steht: Heinrich das Kind verzichtet auf alle territorialen Ansprüche in Thüringen und auf
die landgräfliche Würde seines mütterlichen Hauses; er erhält als selbständige Herrschaft innerhalb
des Mainzer Lehensverbandes die gisonischen Besitzungen (~ Ober- und Niederhessen) samt den von
Albrecht von Braunschweig abgetretenen Städten in der Werragegend6 .
Die Festigung und Ausbreitung seines Territoriums erfolgt unter ungünstigen Bedingungen: Das
Land ist kein Fürstentum mehr; die Machtansprüche des Mainzer Erzstiftes kollidieren gerade im
hessischen Raum mit denen des weltlichen Territoriums7; aber dieses weltliche Territorium selbst ist
kein geschlossenes Ganzes; es wird durch das Gebiet der Ziegenhainer Grafen getrennt und hat sich
auch sonst gegenüber dem im hessischen Raume lebenden selbständigen Adel durchzusetzen.
Die Erhebung Heinrichs in den Reichsfürstenstand erfolgt zwar 12928, indem König Adolf ihn
mit der Reichsfeste Boyneburg und der Stadt Eschwege belehnt, die Rivalität mit den Mainzer Erz-
bischöfen9 und dem hessischen Adel aber bestimmt die Politik der Landgrafen in den nächsten Jahr-
hunderten. Erschwerend für die Entwicklung des Territoriums macht sich ferner das Fehlen einer Erb-
ordnung bemerkbar, die das Land jeweils ungeteilt dem ältesten Sohn vorbehalten hätte10. So sind die
Fragen der äußeren Politik untrennbar mit denen der Erhaltung und Ausgestältung des Territoriums
der Landgrafschaft verbunden.
Ein wichtiger Faktor in der Entwicklung zu territorialer Einheit stellt der Erwerb der Grafschaften
Ziegenhain und Nidda dar11: Zwischen den ehemaligen Feinden hatten sich bis zu Beginn des 15. Jahr-
hunderts engere Beziehungen angeknüpft, aus denen 1437 der Abschluß eines Erbvertrages hervorgeht.
Beim Tode Johanns des Starken von Ziegenhain und Nidda, 1450, fällt sein Territorium als Lehen
2 RegH Nr. 2.
3 als Sohn Juttas, Landgräfin von Thüringen; vgl. O. Lorenz, Genealogisches Handbuch der europäischen Staaten-
geschichte2, 1895, Tafel 7, VIII und 12, IV.
4 O. Lorenz, Tafel 7, IX und Knetsch, Taf. II Nr. XII, 24.
5 Vgl. Hattemer 22 (hier auch die ältere Literatur), ferner Ilgen-Vogel und RegH.
6 RegH Nr. 86.
7 Hattemer 29 ff.; F. Uhlhorn, Hessens Aufstieg zur westdeutschen Macht, Mittlg. an die Mitglieder des Vereins
für hess. Gesch. u. Landeskunde 1938/39.
8 J. Ficker,Vom Reichsfürstenstande I, 1861, Nr. 76. 153; RegH Nr. 310. 311-317.
9 Vgl. unter II.
10 Vier Teilungen bestimmen die Territorialgeschichte Hessens: 1. unter die Söhne Heinrichs I. († 1308): Otto,
Herrn von Oberhessen, und Johann, Herrn von Niederhessen; nach dem Tode Johanns († 1311) wurde das Land
wiederum unter Otto vereinigt (Knetsch, Taf. IV Nr. XIV, 8.11). 2. unter die Söhne Ludwigs I. († 1458):
Ludwig II. zu Kassel und Heinrich III. zu Marburg (Knetsch, Tafel V Nr. XVIII, 2. 3). 3. Niederhessen
unter die Söhne Ludwigs II.:Wilhelm I. und Wilhelm II., seit 1493 Herr von ganz Niederhessen und seit 1500
Herr von ganz Hessen (Knetsch, Tafel V Nr. XIX, 9. 10). 4. unter die Söhne Philipps des Großmütigen
(† 1567), vgl. S. 343 - Zur Literatur: C. Neuber, Die Teilung Hessens durch Landgraf Philipp den Groß-
mütigen, Hessenland 18, 1904; E.Woite, Die Testamente Philipps des Großmütigen, Landgrafen von Hessen,
phil. Diss. Greifswatd 1914.
11 Hattemer 44 ff.
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die Vormundschaft über den noch unmündigen Sohn Ludwigs, Hermann den Jüngeren, und nimmt die
Landgrafenwürde über die gesamten thüringischen Besitzungen in Anspruch. Hermann d.J. († 1242)
und Heinrich Raspe IV. († 1247) 2 sterben kinderlos; damit erlischt das thüringische Landgrafenhaus
im Mannesstamm. Als Erben stehen sich Heinrich der Erlauchte von Meißen3 und Sophie, Tochter
Ludwigs IV., Landgrafen von Thüringen, und Gemahlin Herzog Heinrichs II. von Lothringen und
Brabant4, im Namen ihres Sohnes Heinrich, des Kindes von Hessen, gegenüber. Die Ansprüche beider5
führen zum thüringisch-hessischen Erbfolgekrieg (1247-1264), an dessen Ende die Selbständigkeit
Hessens steht: Heinrich das Kind verzichtet auf alle territorialen Ansprüche in Thüringen und auf
die landgräfliche Würde seines mütterlichen Hauses; er erhält als selbständige Herrschaft innerhalb
des Mainzer Lehensverbandes die gisonischen Besitzungen (~ Ober- und Niederhessen) samt den von
Albrecht von Braunschweig abgetretenen Städten in der Werragegend6 .
Die Festigung und Ausbreitung seines Territoriums erfolgt unter ungünstigen Bedingungen: Das
Land ist kein Fürstentum mehr; die Machtansprüche des Mainzer Erzstiftes kollidieren gerade im
hessischen Raum mit denen des weltlichen Territoriums7; aber dieses weltliche Territorium selbst ist
kein geschlossenes Ganzes; es wird durch das Gebiet der Ziegenhainer Grafen getrennt und hat sich
auch sonst gegenüber dem im hessischen Raume lebenden selbständigen Adel durchzusetzen.
Die Erhebung Heinrichs in den Reichsfürstenstand erfolgt zwar 12928, indem König Adolf ihn
mit der Reichsfeste Boyneburg und der Stadt Eschwege belehnt, die Rivalität mit den Mainzer Erz-
bischöfen9 und dem hessischen Adel aber bestimmt die Politik der Landgrafen in den nächsten Jahr-
hunderten. Erschwerend für die Entwicklung des Territoriums macht sich ferner das Fehlen einer Erb-
ordnung bemerkbar, die das Land jeweils ungeteilt dem ältesten Sohn vorbehalten hätte10. So sind die
Fragen der äußeren Politik untrennbar mit denen der Erhaltung und Ausgestältung des Territoriums
der Landgrafschaft verbunden.
Ein wichtiger Faktor in der Entwicklung zu territorialer Einheit stellt der Erwerb der Grafschaften
Ziegenhain und Nidda dar11: Zwischen den ehemaligen Feinden hatten sich bis zu Beginn des 15. Jahr-
hunderts engere Beziehungen angeknüpft, aus denen 1437 der Abschluß eines Erbvertrages hervorgeht.
Beim Tode Johanns des Starken von Ziegenhain und Nidda, 1450, fällt sein Territorium als Lehen
2 RegH Nr. 2.
3 als Sohn Juttas, Landgräfin von Thüringen; vgl. O. Lorenz, Genealogisches Handbuch der europäischen Staaten-
geschichte2, 1895, Tafel 7, VIII und 12, IV.
4 O. Lorenz, Tafel 7, IX und Knetsch, Taf. II Nr. XII, 24.
5 Vgl. Hattemer 22 (hier auch die ältere Literatur), ferner Ilgen-Vogel und RegH.
6 RegH Nr. 86.
7 Hattemer 29 ff.; F. Uhlhorn, Hessens Aufstieg zur westdeutschen Macht, Mittlg. an die Mitglieder des Vereins
für hess. Gesch. u. Landeskunde 1938/39.
8 J. Ficker,Vom Reichsfürstenstande I, 1861, Nr. 76. 153; RegH Nr. 310. 311-317.
9 Vgl. unter II.
10 Vier Teilungen bestimmen die Territorialgeschichte Hessens: 1. unter die Söhne Heinrichs I. († 1308): Otto,
Herrn von Oberhessen, und Johann, Herrn von Niederhessen; nach dem Tode Johanns († 1311) wurde das Land
wiederum unter Otto vereinigt (Knetsch, Taf. IV Nr. XIV, 8.11). 2. unter die Söhne Ludwigs I. († 1458):
Ludwig II. zu Kassel und Heinrich III. zu Marburg (Knetsch, Tafel V Nr. XVIII, 2. 3). 3. Niederhessen
unter die Söhne Ludwigs II.:Wilhelm I. und Wilhelm II., seit 1493 Herr von ganz Niederhessen und seit 1500
Herr von ganz Hessen (Knetsch, Tafel V Nr. XIX, 9. 10). 4. unter die Söhne Philipps des Großmütigen
(† 1567), vgl. S. 343 - Zur Literatur: C. Neuber, Die Teilung Hessens durch Landgraf Philipp den Groß-
mütigen, Hessenland 18, 1904; E.Woite, Die Testamente Philipps des Großmütigen, Landgrafen von Hessen,
phil. Diss. Greifswatd 1914.
11 Hattemer 44 ff.
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