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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0030
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Franz Lambert kennt über diese drei Arten hinaus noch zwei Formen der confessio: einerseits die
confessio in Anlehnung an Ps. 141, 4, andererseits die confessio publica. Die Aufzählung der letzteren
weist uns vornehmlich in den oberdeutschen Raum:
Oekolampad legt seine Beichtlehre in der Schrift ,,Quod non sit onerosa Christianis confessio“,
ebenfalls 1521, dar35. Er nennt eine vierfache Form der Beichte36: die confessio quae Deo fit37, die
confessio publica38, das genus ecclesiasticum39 und die confessio fraterna40. Im Gegensatz zu Luther,
der das genus ecclesiasticum und die confessio fraterna hochhält - um des darin lautwerdenden Trost-
wortes, das der confessio quae Deo fit fehlt - gewinnt die aus dem mittelalterlichen Gottesdienst stammende
Offene Schuld41 im oberdeutschen Gottesdienst einen großen Raum. Sie wird hier als ,,Gegengewicht
zur abgelehnten Ohren- und Privatbeichte“42 geschätzt.
Franz Lambert nimmt alle erwähnten Gestaltungen der Beichte - unter Betonung der Offenen
Schuld bei der Abendmahlsfeier - auf. Wichtig ist auch ihm das Wort des Trostes, das die Vergebung der
Sünden durch Gott bezeugt.
Es bleibt nun noch die traditionsgeschichtliche43 Frage zu klären: Von wem ist die Reformatio in
ihrem Kapitel über die Beichte abhängig ? Dazu muß die Tradition des Mittelalters herangezogen wer-
den. Petrus Lombardus44 - und ihm folgend etwa Bonaventura - kennt eine dreifache Form der Beichte:
die confessio quae Deo fit, die confessio ecclesiastica und die confessio fraterna. Der von ihm herkom-
menden Tradition dürften die Reformatoren folgen, in Oberdeutschland unter Einschluß der aus dem
Mittelalter bekannten und geübten Offenen Schuld.
Als Ergebnis der Frage nach der theologiegeschichtlichen Einordnung der Reformatio (aufgezeigt
an den Kapiteln 5 und 6) dürfte deutlich geworden sein, daß Franz Lambert sich zwar häufig dem Vor-
gehen Luthers anschließt, jedoch fast ausschließlich an den Punkten, wo er gleichzeitig mittelalterlichen
oder oberdeutschen Traditionen folgen kann45. - Im ganzen hat Franz Lambert die Reformatio ent-
schieden unter den Gesichtspunkt der Kirchenzucht46 gestellt: die confessio (fidei) als Voraussetzung
der Zugehörigkeit zur Abendmahlsgemeinde, die Möglichkeit der excommunicatio und die Ordnung der

35 bei E. Staehelin, Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads, Quellen und Forschungen zur Reforma-
tionsgeschichte 21, 1939, S. 121 ff.
36 E. Roth, Die Privatbeichte und Schlüsselgewalt in der Theologie der Reformatoren, 1952, S. 102 ff. und Staehe-
lin 128 ff.
37 im Anschluß an Ps. 32, 5; auch Bullinger (im Schreiben an Honterus vom 28. Aug. 1543) begründet die erste
Art der Beichte — im Anschluß an mittelalterliche Tradition — mit Ps. 32, 5 (bei Roth 102).
38 bei Roth 105 f. und Staehelin 434.
39 bei Roth 106 und Staehelin 129.
40 bei Staehelin 132 ff. (im Anschluß an Jak. 5, 16).
41 Waldenmaier 4; Roth 105; F. Schmidt-Clausing, Zwingli als Liturgiker, 1952, 102; Jos. A.Jungmann I,
608 f. (mit Literaturangabe).
42 Roth 106. — Zu bemerken ist, daß schon Luthers Betbüchlein eine Offene Schuld enthält:WA 10, II, 428f., es
handelt sich um ,,Doctor Casper Güttels offen Beycht“.
43 Zum Begriff: H. Jahr, Reformation und Tradition in der hessischen Kirchenordnung von 1566, theol. Diss.
Göttingen 1955, LXX ff.
44 Sent. Lib. IV, dist. XVI, 3 ff.
45 Die Reformatio tritt ausdrücklich in ihrem Eingangskapitel gegen die traditiones hominum auf (43). Kann
demgegenüber eine weitgehende traditionsgeschichtliche Einordnung der Reformatio aufgewiesen werden, so zeigt
gerade dieser Umstand die Spannung, die den hessischen Traditionalismus durchzieht.
46 Vilmar, Confessionsstand 9, vermißt das Zeugnis von Sünde und Gnade innerhalb der Reformatio und kommt
daher zu dem Schluß, daß ,,der Geist des Glaubens . . . der Synode zu Homberg gefelt“ habe, sie sei ,,beherrscht"
gewesen ,,von dem Geiste der Dialektik“. Bei Vilmar wird durchgängig deutlich, was es heißt, allein von der
Fragestellung eines überspitzten Luthertums (,,wie bekomme ich einen gnädigen Gott“) an Dokumente der frühen
Reformationszeit heranzugehen. Es wird ihm unmöglich, die Ausgestaltung der von Oberdeutschland herkommen-
den Reformation würdigen zu können, die zunächst drängend nach der Gestaltung kirchlichen Lebens fragt, also
etwa nach kirchlicher Ordnung und Zucht.

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