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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0080
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Hessen-Kassel

II. Seind allen unnd jeden ministris, so wol im
Vier- undt Zweiherrischenn20 alß aber im
eigenthumb21, diese nachfolgende puncten
vorgehalten wordenn:
1. Das sie die reine gesunde lehr deß götlichen worts,
wie dieselbige in den schrifftenn der h. propheten
unnd aposteln gegrundet, furtragen sollenn.
2. Daß sie die calumnias, convitia unnd condem-
nationes in denen zwischenn den evangelischen kir-
chen noch streitigen puncten der lehr publice et pri-
vatim beiderseits unterlassenn, von solchen contro-
versis articulis keine neuwe, unrechte unnd der an-
tiquitet unnd waren kirchen Gottes unbekandte
phrases de omnipotentia et omnipraesentia carnis
Christi, qua omnes creaturas in his terris uno mo-
mento sibi praesentes habeat, de corporali et reali
inexistentia carnis et sanguinis in vel sub pane et
vino sacrae caenae eiusdemque orali manducatione,
quae sine dolo malo aliquam huius seculi rationem
et modum fiat, sive subtilis illa, sive crassa sit, unnd
waß derogleichenn, weder auff die cantzell bringenn
noch sonsten auch gebrauchenn, die im Vierherri-
schenn aber besonders bei denen utrinque concessis
et confessis principiis et fundamentis es bewenden
lassen söllen, damit man unter andern ursachenn
auch daß arme, einfeltige volck, welches man leider
noch sehr rohe unnd unerbauwet befunden, in ein
atheismum, incertitudinem et contemptum omnis
religionis atque pietatis hiedurch endtlich nicht
bringe unnd also mehr destruire alß aedificire unnd
daß sie, die |6v | ministri, ad rectius formandum
iudicium unnd falsum testimonium zu vermeidenn,
nicht allein eines, sondern auch deß andern theils
scripta unnd meinung absque praeiudicio et prae-

20 Das „Vierherrische“ war die Grafschaft auf dem Einrich
(im Nordwesten des Taunus), die nach der Teilung der
Grafenhäuser von Nassau (1255) und Katzenelnbogen
(1260) vier Herren - den Landgrafen von Hessen und
den drei Nassauischen Linien Dillenburg, Saarbrücken
und Wiesbaden - gemeinsam gehörte. Erst nach dem
zweiten Nastätter Rezess kam es 1755 zur Auflösung des
„Vierherrischen“, Sponheimer, Landesgeschichte;
Heldmann, Diözese, S. 118.
Das dem walramischen Zweig des Hauses Nassau allein
gehörende Stück des Einrichs verwalteten die Weilbur-

conceptis opinionibus lesen unnd in vero Dei timore
erwegen söllen.
3. Dieweil man bei ihrer etzlichen noch grosse
ruditet unnd inscitiam befunden, daß sie beneben
dem gebet ihrer studiorum theologicorum besser in
acht nehmenn, auch diligentiam maiorem in omni-
bus officii partibus praestiren söllenn.
4. Daß sie einer bessern unnd erbauwlichern art
zu catechisiren hinfuro sich befleissigenn unnd den
kindern nicht allein die nuda verba formalia deß ca-
techismi inß gedechtniß, sondern auch durch
schrifftmessige erklerungenn unnd andere fragenn,
auffs fundamentum salutis gerichtet, in den ver-
stand unnd ins hertz hienein durch Gottes gnade zu
bringenn sich befleissigen sollenn.
5. Daß sie, ein jeder an seinem ort, die anstel-
lung der schuelen, alß ohn welcher subsidium sie
auch ihr ampt dero gebuhr nicht impliren22 können,
sich mit fleiß angelegen sein sollenn.
6. Daß sie die predigten also moderiren wollen,
damit sie dem volck nicht zu lang fallen, daruber
dan an etlichen örtern geklackt wordenn.
7. Daß sie vor den wirtsheusser unnd vullerey,
leichtfertigkeitenn, auch gezänck unnd haddersuch-
tigkeitt wie in gleichen gezänck unnd unwillen unter
ihren pfarkindern zuverursachen unnd zu foviren,
sich hutten sollenn, in massen dan dieser mangell an
unterschiedenen ortern sich befundenn.
8. Daß sie die pfarheuser unnd -beuw sampt dero
zugehörigen guttern unnd zinsen nicht verfallen
noch verschmelern lassenn. | 7r |
9. Daß sie die castenrechnungen fleissiger unnd
mehr correct schreiben, dieselbige in ein bessere ord-
nung bringen, die ubermessige verzehrung unnd
zechen auff die casten, wie man mehrertheils ver-

ger und Wiesbadener Linien gemeinsam. Um 1500 um-
fasste dieses zweiherrische Gebiet Miehlen, Endlichhofen
und die Vogtei Schönau mit Strüth, Lipporn, Welterod
und den Höfen Angscheid und Esrod, Sponheimer,
Landesgeschichte, S. 176. Zum Vier- und Zweiherrischen
vgl. auch die Karten bei Sponheimer, Landesge-
schichte, Atlas, Nr. 5-7.
21 In dem Landesteil, der den hessischen Landgrafen allei-
ne gehörte.
22 Implere = Erfüllen, ausführen.

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