Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0082
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Hessen-Kassel

sundhafftigen unnd ergerlichen leichtfertigkeitten
mit ernst abgeschafft werden, alldieweil solches
auch in furstlicher hessischer kirchenordnung32 unnd
besonderbarenn mandatis verbottenn, aber an der
execution biß anhero gemangelt hatt. | 8r |
5. Daß die festa sanctorum et sanctarum wie im
gantzen furstenthumb Hessenn also auch in dieser
niddergraveschafft entlich abgeschafft werden, al-
dieweil 1. Got im decalogo gebotten hatt: Sex diebus
operaberis33, 2. solches der war Jehova verbotten
hatt, Ex. 23 [12], 3. wir dessen im alten unnd neu-
wen testament kein exempel habenn, 4. sölche festa
sanctorum et sanctarum von den unreinen bäbstenn
seind eingesetzt unnd bevohlenn nach dem beispiel
der ungleubigen heidenn, wie Polydorus Virg[ilius]
sagt, pag. 437 et 438:34 Belle ethnicos perinde hac in
re ut in nimis multis aliis aemulamur, 5. solche feier
der h[eiligen], so auß ehrgeitz, superstition unnd
aberglauben der bäbste herfliessen, gerichtet seind
zum ehrgeitz unnd abgötterey, mit welchem zweck
auch coniungiret ist corruptio morum. Dan durch
solche crebras solennitates et festa wird ursach ge-
ben zue fressen unnd sauffenn unnd vielen ubeln, so
darauß entspringen, daß ich unter dessen geschwei-
ge dero politicarum et oeconomicarum rationum,
alß daß sie die arbeit hindern unnd den mussigang
stärcken, inmassen dan leider Gottes die erfahrung
mehr dan zuviel bezeuget, daß es dem volcke mit
solchen festis nicht so gar umb anhörung der predig-
ten, welche sie wochentlich sehr nachlessig unnd in
gar geringer zahl besuchen, alß aber umb fressen
unnd sauffen unnd den verfluchten mussigang zu-
thun, 6. solche festa in unser christlicher kirchenord-
nung zu feiren nicht gebotten seindt. | 8v |

32 Siehe oben, Anm. 17.
33 Ex 20,9; Dtn 5,13.
34 Polydorus Virgilius (1470-1555), „De rerum inventori-
bus“. Virgils zweites Hauptwerk ist eine Abhandlung
über die Erfinder aller Dinge. Es wurde 1499 als drei-
bändige Ausgabe in Venedig und 1521 um fünf weitere
Bände ergänzt in Basel bei Johannes Froben gedruckt.
Schon zu Virgils Zeiten war das Werk äußerst populär
und in fünf Sprachen übersetzt worden, Contemporaries
of Erasmus, S. 397-399.

6. Daß die ministri, so ohne daß bei dieser argen
welt in gar geringer reputation seindt, dero gar verr-
ächtlichen und im nidderfurstenthumb ungewonli-
cher viehutt35 zu mehrer auctorisation ihres mini-
sterii unnd bessern abwarten ihres ampts unnd stu-
dierenß deromaleins in dieser graffschafft entlediget
werdenn, aldieweil sich in etzlichen abschieden be-
findet, das die pastores von solcher viehut befreit
sein söllen, wie auch auff jungst gehaltenem vier-
herrischem tage zu Milenn wege tetrarchicorum mi-
nistrorum einhellig beschlossen worden.
7. Dieweil die ministri unnd castenmeister (wie
auch besonders der stifftskeller unnd hospitalmei-
ster zu St. Goar) fast allenthalbenn sich gar sehr
beclagenn, daß sie ihre zinsen unnd renten nicht
außbringen mögen, dahero dan die recessen in den
castenrechnungenn stifft unnd hospitall so lang hin-
derstendig bleibenn unnd so hoch auffwachsenn,
auch mit ihren zehenden allerhand untreuw unnd
einstrauwunge36 ihnen wiederfahre, unnd bei solchen
allen der mangel an execution unnd handbietung
dero beampten mehrentheils sich befindett, daß
doch möcht dahin gedacht werden, wie solchem de-
fect dißfalß abzuhelffenn, damit sonderlich die ca-
stenn, stifft unnd hospitall nicht in abgang unnd
endliche verderbung gerahten mögenn.
8. Obwol nicht fur ratsam wird geachtet, daß
man wegen dero zahl der zehen gebott Gottes sich
solt ohn ursach mit jemand in zanck geben oder
aber usitatum illum et hactenus in nostris ecclesiis
receptum numerum ex proprio motu et arbitrio mu-
tiren und endern, so were eß doch nit unrecht, son-
dern vielmehr Gottes ernstlichem befelch gemeß,
das hinfuro von allen unnd jeden ministris der de-
calogus nit mehr mutilate, sondern integre, wie er
von Got selbst auff dem berge Sinai gegeben, in ca-

35 Hintergrund dieses Artikels war die aus dem Mittelalter
stammende Praxis, dass die Pfarrer, wenn sie den Zehnt
ihrer Pfarrkirche bezogen, die Zuchttiere (Faselvieh) für
die Gemeinde halten mussten, vgl. Fr. Beyschlag,
Pfarrer als Zuchttierhalter, in: BBKG 28 (1922),
S. 15-24; Arend, Bischof, S. 46 Anm. 52; Ritter,
Konfession, S. 187 Anm. b.
36 Verdächtigungen, Grimm, DWb 3, Sp. 316.

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