Evangelische Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts

15. Kirchenordnung 1556

Oratio: Barmhertziger, gütiger herr Jesu Christe,
der du der | O4r | weg, die warheyt und die eynige
Pfort des lebens bist302 und auß besondern gnaden
deines hymlischen vatters eyn eygen erbvolck auff
erden zum geschenck empfangen hast, welches nach
deinem gebenedeiten Namen genennet und durch
dich, guten und getrewen hirdten, mit der weyde des
ewigen lebens versorget und in gnadenreichen
Schafstal der heyligen Christenheyt eynen sichern
auß- und eingangk haben solt303, wir bitten, Du wöl-
lest dir die schäflein, so dir der vatter gegeben hat,
gnediglich lassen bevolhen sein und sie durch den
geyst der warheyt vor aller gleißnerei und falschen
tücken behüten, Das sie nicht zwifache hertzen ha-
ben oder zu beyden seiten hincken304, sondern mit
auffrichtigem gemüt, ohn falsch und ungeferbter
weise mit wahrer bekentnus des hertzen, munds und
ires gantzen lebens deine herligkeyt unnd iren Chri-
stenthumb mügen bezeugenk.
Pro inimicis
Wir wöllen auch nach dem bevelch und exempel un-
sers lieben herrn Jesu Christi für alle unsere feinde
und widdersacher bitten305, sie seien heymlich oder
offenbar, Das yhnen Gott ire grimmige unnd erbit-
terte hertzen wolle senfftigen, allen iren zorn und
ungedult ferne von inen treiben und uns mit inen
zum Christlichen fried und versühnung kommen las-
sen.
Oratio: O herr Jesu Christe, Der du uns mit deinem
gotli- | O4v | chen munde selbst geleret hast, Das wir
unsere Feinde lieben, unsern beleydigern wolthettig
sein und für unsere verfolger bitten sollen306, Dieweil
wir nun von wegen unser verderbten natur alle zeit
mehr zur rache dann zur verzeihung geneygt sein, so
bitten wir dich, Du wollest unsere verletzten her-
tzen durch deine gotliche gelindigkeyt und sanfft-

k B: bezeugen, umb deiner, etc.
l B: kommen, umb deiner barmherzigkeit, etc.
m B: mögen, umb Jesu, etc.

302 Joh 14,6.
303 Joh 10,1-16.

mut heylen unnd stillen, das wir dir die rach wissen
zubefelhen und alles, so uns zu leydt geschehen,
hertzlich vergeben unnd vergessen mogen. Gib allen
unsern feinden den wahren fried und ungefelschte
liebe, Verzeihe inen alle ire sünde, so sie wider dich
unnd uns gethan haben unnd laß sie zur rechten buß
und besserung kommenl.
Pro tentatis et sub cruce laborantibus
Lasset uns auch von hertzen bitten Gott, unsern
hymlischen vatter, das er nach seiner vätterlichen
güte allen jamer und elend auff erden wandeln und
hinweg nehmen wolle, alles hertzleydt unnd Inner-
liche beschwerung von den bekümmerten unnd
traurigen hertzen abwenden, allerley kranckheyt
und straff und in sonderheyt die vier plagen und
geysseln seines gotlichen zorns307, Nemlich Den
Hunger, die Pestilentz, die schedlichen thier und ge-
würme, das blutige Schwerdt der Feinde gnediglich
verhalten und auffheben wolle, das er die unver-
schulten gefangene erlöse, den elen- | P1r| den zur
heymfart, den krancken zur gesundtheyt helfe, Wid-
wen, Weysen und allerley trübseligen erfrewe und
tröste, Die, so in fewrs- oder wassersnöten sein, In
kinds- oder todtsnöten arbeyten308, zum frölichen
außkommen fertige Und uns von allem ubel und un-
gemach leibs und seelen erlöse.
Oratio: Allmechtiger, ewiger Gott, Du trost der
trawrigen und du stercke der schwachen, Der du der
eynige und getrewen nothelffer bist zu rechter zeit,
Wir bitten, das du gnediglich wöllest annehmen das
weeklagen aller betrübten hertzen, so in iren nöten
zu dir schreien, das sie in yhrem elende und trübsal
deine vätterliche güte empfinden unnd dir für deine
gnedige hülff und beistandt lob und danck sagen
mögenm.

304 1Kön 18,21.
305 Mt 5,44.
306 Mt 5,43-44; Lk 6,27-28; Röm 12,14.
307 Ez 14,21.
308 Leiden.

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