Einleitung
Die in der Forschungsliteratur immer wieder vertretene Meinung, dass die Reformation in Wetzlar
bereits 1542 durch Antonius Wedensis eingeführt worden sei, hat Franz Schulten widerlegt, indem er zum
einen darauf hinwies, dass der Prozess der Reformationseinführung in Wetzlar rund 20 Jahre gedauert habe
und nicht in einem Stichjahr vollzogen worden sei und indem er zum anderen erst 1549 Belege für Antonius
Wedensis’ Tätigkeit als Pfarrer in Wetzlar ausmachen konnte.23
Obwohl der reichsstädtische Magistrat sich bei der Einführung der Reformation zurückhielt und sich
auch nicht im Schmalkaldischen Bund engagierte, wurden in den 1540er Jahren erste Schritte auf dem Weg
zur neuen Lehre unternommen.24 So ließ sich die Reichsstadt auf dem Speyerer Reichstag 1544 von den
Frankfurter Gesandten vertreten und stimmte auf Seiten der Protestanten ab.25 Wie sich die reformatori-
sche Bewegung der 1540er Jahre im einzelnen darstellte, bleibt auch aufgrund der schlechten Quellenlage
ungewiss. Man kann jedoch annehmen, dass der Rat die neue Lehre zwar duldete, aber nicht forcierte, denn
der Handlungsspielraum der Reichsstadt war aufgrund des außenpolitischen Machtgefüges begrenzt: Der
Kaiser hatte das Marienstift unter seine besondere Obhut gestellt und den Erzbischof von Trier als Schutz-
herrn eingesetzt.26 So war es wohl den politischen Verhältnissen geschuldet, dass die Reformation in Wetzlar
erst nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 konkrete Formen annahm.
3. Die Einführung der Reformation 1555-1618
1. Vergleich zwischen Stift und Stadt zur gemeinsamen Nutzung der Stiftskirche 8. September 1561
(Text S. 673)
Das Langhaus der Stifts- und Pfarrkirche war ja bereits im Mittelalter der Ort der Gemeinde. Seit den
1540er Jahren fanden sich hier die evangelischen Gläubigen zu ihren Gottesdiensten zusammen, während
die Stiftsgeistlichen ihren altgläubigen Kultus weiterhin im Chor pflegten.27 Am 3. August 1561 ereignete
sich in der simultan genutzten Kirche ein Zwischenfall, der die Spannungen zwischen Kapitel und evan-
gelischer Gemeinde vor Augen führt und der von beiden Seiten unterschiedlich beurteilt wurde: Die Kano-
niker stellten das Geschehen so dar, dass die beiden Bürgermeister ihnen, die zwischen 8 und 9 Uhr zu ihrem
gewohnten Psalmengesang zusammengekommen waren, zu schweigen geboten hätten. Der Rat führte dem-
gegenüber an, dass der Prediger Johannes Hell die Kanoniker gebeten hätte, mit ihrem Gesang so lange
innezuhalten, bis er das Abendmahl ausgeteilt habe.28
Dieser Vorfall führte dazu, dass sich sowohl die Stiftsgeistlichen als auch der Rat um Hilfe an den
Trierer Erzbischof Johann von der Leyen wandten. Dieser sandte am 4. September eine dreiköpfige Unter-
suchungskommission in die Reichsstadt, die bis zum 8. September einen Vergleich aushandelte: Unter
Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde der Pfarrer Antonius Wedensis angewiesen,
sich mit seiner Predigt auf die Stunden zwischen 6 und 8 Uhr morgens zu beschränken, damit im Anschluss
die Kanoniker ungestört ihr Amt versehen könnten. Auf diese Weise sollten zeitliche Überschneidungen der
beiden Gottesdienstfeiern in Zukunft vermieden werden.
Michel, Gerhard Lorich, S. 160-172; BBKL V, Sp. 230-
234. Zu Antonius Wedensis siehe Schulten, Antonius
Wedensis, S. 95-97.
23 Schulten, Marienstift, S. 109. So auch Schieber,
Normdurchsetzung, S. 24; Franz, Bestrebungen,
S. 668. Schulten, Marienstift, S. 107 und S. 122f.
stellte klar, dass die „Legende“ von der Reformations-
einführung im Jahre 1542 auf die Darstellung von Che-
lius, Kurtze Beschreibung, S. 7 zurückzuführen ist.
24 Schindling/Schmidt, Frankfurt, S. 55; Bock, Wetz-
larer Dom, S. 73.
25 DRTA.JR 15, S. 2284; Lottes, Religionspolitik, S. 52;
Bock, Wetzlarer Dom, S. 73.
26 Lottes, Religionspolitik, S. 53; Schindling/
Schmidt, Frankfurt, S. 54.
27 Bock, Wetzlarer Dom, S. 74; Press, Wetzlar, S. 65.
28 Vgl. Schulten, Marienstift, S. 149; ders., Zwo Religio-
nen, S. 98f.; Bock, Wetzlarer Dom, S. 75.
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Die in der Forschungsliteratur immer wieder vertretene Meinung, dass die Reformation in Wetzlar
bereits 1542 durch Antonius Wedensis eingeführt worden sei, hat Franz Schulten widerlegt, indem er zum
einen darauf hinwies, dass der Prozess der Reformationseinführung in Wetzlar rund 20 Jahre gedauert habe
und nicht in einem Stichjahr vollzogen worden sei und indem er zum anderen erst 1549 Belege für Antonius
Wedensis’ Tätigkeit als Pfarrer in Wetzlar ausmachen konnte.23
Obwohl der reichsstädtische Magistrat sich bei der Einführung der Reformation zurückhielt und sich
auch nicht im Schmalkaldischen Bund engagierte, wurden in den 1540er Jahren erste Schritte auf dem Weg
zur neuen Lehre unternommen.24 So ließ sich die Reichsstadt auf dem Speyerer Reichstag 1544 von den
Frankfurter Gesandten vertreten und stimmte auf Seiten der Protestanten ab.25 Wie sich die reformatori-
sche Bewegung der 1540er Jahre im einzelnen darstellte, bleibt auch aufgrund der schlechten Quellenlage
ungewiss. Man kann jedoch annehmen, dass der Rat die neue Lehre zwar duldete, aber nicht forcierte, denn
der Handlungsspielraum der Reichsstadt war aufgrund des außenpolitischen Machtgefüges begrenzt: Der
Kaiser hatte das Marienstift unter seine besondere Obhut gestellt und den Erzbischof von Trier als Schutz-
herrn eingesetzt.26 So war es wohl den politischen Verhältnissen geschuldet, dass die Reformation in Wetzlar
erst nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 konkrete Formen annahm.
3. Die Einführung der Reformation 1555-1618
1. Vergleich zwischen Stift und Stadt zur gemeinsamen Nutzung der Stiftskirche 8. September 1561
(Text S. 673)
Das Langhaus der Stifts- und Pfarrkirche war ja bereits im Mittelalter der Ort der Gemeinde. Seit den
1540er Jahren fanden sich hier die evangelischen Gläubigen zu ihren Gottesdiensten zusammen, während
die Stiftsgeistlichen ihren altgläubigen Kultus weiterhin im Chor pflegten.27 Am 3. August 1561 ereignete
sich in der simultan genutzten Kirche ein Zwischenfall, der die Spannungen zwischen Kapitel und evan-
gelischer Gemeinde vor Augen führt und der von beiden Seiten unterschiedlich beurteilt wurde: Die Kano-
niker stellten das Geschehen so dar, dass die beiden Bürgermeister ihnen, die zwischen 8 und 9 Uhr zu ihrem
gewohnten Psalmengesang zusammengekommen waren, zu schweigen geboten hätten. Der Rat führte dem-
gegenüber an, dass der Prediger Johannes Hell die Kanoniker gebeten hätte, mit ihrem Gesang so lange
innezuhalten, bis er das Abendmahl ausgeteilt habe.28
Dieser Vorfall führte dazu, dass sich sowohl die Stiftsgeistlichen als auch der Rat um Hilfe an den
Trierer Erzbischof Johann von der Leyen wandten. Dieser sandte am 4. September eine dreiköpfige Unter-
suchungskommission in die Reichsstadt, die bis zum 8. September einen Vergleich aushandelte: Unter
Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde der Pfarrer Antonius Wedensis angewiesen,
sich mit seiner Predigt auf die Stunden zwischen 6 und 8 Uhr morgens zu beschränken, damit im Anschluss
die Kanoniker ungestört ihr Amt versehen könnten. Auf diese Weise sollten zeitliche Überschneidungen der
beiden Gottesdienstfeiern in Zukunft vermieden werden.
Michel, Gerhard Lorich, S. 160-172; BBKL V, Sp. 230-
234. Zu Antonius Wedensis siehe Schulten, Antonius
Wedensis, S. 95-97.
23 Schulten, Marienstift, S. 109. So auch Schieber,
Normdurchsetzung, S. 24; Franz, Bestrebungen,
S. 668. Schulten, Marienstift, S. 107 und S. 122f.
stellte klar, dass die „Legende“ von der Reformations-
einführung im Jahre 1542 auf die Darstellung von Che-
lius, Kurtze Beschreibung, S. 7 zurückzuführen ist.
24 Schindling/Schmidt, Frankfurt, S. 55; Bock, Wetz-
larer Dom, S. 73.
25 DRTA.JR 15, S. 2284; Lottes, Religionspolitik, S. 52;
Bock, Wetzlarer Dom, S. 73.
26 Lottes, Religionspolitik, S. 53; Schindling/
Schmidt, Frankfurt, S. 54.
27 Bock, Wetzlarer Dom, S. 74; Press, Wetzlar, S. 65.
28 Vgl. Schulten, Marienstift, S. 149; ders., Zwo Religio-
nen, S. 98f.; Bock, Wetzlarer Dom, S. 75.
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