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Aristophanes
2. Für den Mythos des Aiolos orientierte sich Aristophanes wahrschein-
lich besonders an Euripides’ Aiolos.10 Dafür spricht, dass (1) bei Platonios (=
test, v) ausdrücklich davon die Rede ist, dass der Aiolosikön eine Tragödie
mit dem Titel Αίολος verspottet, (2) keine andere Tragödie mit diesem Titel
aus klassischer Zeit bekannt ist, (3) Aristophanes schon in früheren Stücken
mehrfach auf Euripides’ Aiolos Bezug nimmt (vgl. oben zum Titel, S. 13), (4)
der Aiolosikön in fr. 1 (~ Eur. Hec. 1-2) noch ein weiteres euripideisches Stück
aufgreift,11 (5) Euripides überhaupt die bevorzugte tragische Zielscheibe des
Aristophanes ist, und sich Bezüge auf Euripides auch noch lange nach dessen
Tod z. B. bei Eubulos finden.
3. Das zentrale Handlungselement des euripideischen Aiolos, mit dem auch
die meisten sonstigen Bezüge auf den Aiolos bei Aristophanes in Verbindung
stehen und das sehr wahrscheinlich auch im Aiolosikön eine Rolle gespielt
hat, ist die inzestuöse Liebe von Aiolos’ Sohn Makareus zu seiner Schwester
Kanake und die Verheiratung von Aiolos’ Söhnen und Töchtern miteinander
(vgl. auch Nr. 4). Die romantische Liebe von Makareus und Kanake ist aller-
dings in den Fragmenten des Aiolosikön nicht mehr direkt erkennbar,12 und
es bleibt unklar, ob und in welcher Form Aristophanes die damit verbundene
tragische Handlung aufgriff.13
10 Vgl. z.B. Grauert 1828, 60, Bergk ap. Meineke II.2 942, Rau 1967, 209, Kassel 1978,
57 (= Kassel 1991, 267), Kassel/Austin, PCG III.2 (1984), 34, Kannicht 2004, 161,
Collard/Cropp 2008a, 14-5.
11 Ähnlich wird in Strattis’ Phoinissai (dessen Bezug auf die euripideischen Phoinissai
durch fr. 47 und fr. 48 gesichert ist) in fr. 46 auch der erste Vers der Hypsipyle
aufgegriffen.
12 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in fr. 53 aus dem Anagyros die
Liebesleidenschaft aus dem tragischen Vorbild (Eur. Hipp. 219-22) durch quälenden
Hunger ersetzt (oder zumindest mit diesem neuen Motiv kombiniert) wird (vgl.
unten S. 224-5. 291).
13 Konstantakos 2011, 150-1 mit Anm. 10 vermutet, ausgehend von einem in der
späteren Komödie verbreiteten Handlungsmuster, dass im Aiolosikön ein glück-
liches Ende der Geschichte von Makareus und Kanake durch eine Anagnorisis
herbeigeführt wurde (wie sie auch im Kökalos vorkam), durch die sich ergab, dass
Makareus und Kanake tatsächlich keine Geschwister waren. Allerdings ist in
Euripides’ Tragödie nicht das Geschwisterverhältnis selbst das Problem, das zum
Tod von Makareus und Kanake führt: Aiolos hat ja selbst eingewilligt, die Kinder
untereinander zu verheiraten, und wahrscheinlich ist er sogar bereit, Kanake zu be-
gnadigen (nur kommt er damit zu spät). Es könnte also auch ohne eine Anagnorisis
ein glückliches Ende leicht herbeigeführt werden. Die Anagnorisis wäre nur nötig,
wenn man ein auch von der athenischen Rechtslage her akzeptables Ende her-
beiführen wollte; aber ob das Aristophanes wirklich für erforderlich hielt, bleibt
Aristophanes
2. Für den Mythos des Aiolos orientierte sich Aristophanes wahrschein-
lich besonders an Euripides’ Aiolos.10 Dafür spricht, dass (1) bei Platonios (=
test, v) ausdrücklich davon die Rede ist, dass der Aiolosikön eine Tragödie
mit dem Titel Αίολος verspottet, (2) keine andere Tragödie mit diesem Titel
aus klassischer Zeit bekannt ist, (3) Aristophanes schon in früheren Stücken
mehrfach auf Euripides’ Aiolos Bezug nimmt (vgl. oben zum Titel, S. 13), (4)
der Aiolosikön in fr. 1 (~ Eur. Hec. 1-2) noch ein weiteres euripideisches Stück
aufgreift,11 (5) Euripides überhaupt die bevorzugte tragische Zielscheibe des
Aristophanes ist, und sich Bezüge auf Euripides auch noch lange nach dessen
Tod z. B. bei Eubulos finden.
3. Das zentrale Handlungselement des euripideischen Aiolos, mit dem auch
die meisten sonstigen Bezüge auf den Aiolos bei Aristophanes in Verbindung
stehen und das sehr wahrscheinlich auch im Aiolosikön eine Rolle gespielt
hat, ist die inzestuöse Liebe von Aiolos’ Sohn Makareus zu seiner Schwester
Kanake und die Verheiratung von Aiolos’ Söhnen und Töchtern miteinander
(vgl. auch Nr. 4). Die romantische Liebe von Makareus und Kanake ist aller-
dings in den Fragmenten des Aiolosikön nicht mehr direkt erkennbar,12 und
es bleibt unklar, ob und in welcher Form Aristophanes die damit verbundene
tragische Handlung aufgriff.13
10 Vgl. z.B. Grauert 1828, 60, Bergk ap. Meineke II.2 942, Rau 1967, 209, Kassel 1978,
57 (= Kassel 1991, 267), Kassel/Austin, PCG III.2 (1984), 34, Kannicht 2004, 161,
Collard/Cropp 2008a, 14-5.
11 Ähnlich wird in Strattis’ Phoinissai (dessen Bezug auf die euripideischen Phoinissai
durch fr. 47 und fr. 48 gesichert ist) in fr. 46 auch der erste Vers der Hypsipyle
aufgegriffen.
12 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in fr. 53 aus dem Anagyros die
Liebesleidenschaft aus dem tragischen Vorbild (Eur. Hipp. 219-22) durch quälenden
Hunger ersetzt (oder zumindest mit diesem neuen Motiv kombiniert) wird (vgl.
unten S. 224-5. 291).
13 Konstantakos 2011, 150-1 mit Anm. 10 vermutet, ausgehend von einem in der
späteren Komödie verbreiteten Handlungsmuster, dass im Aiolosikön ein glück-
liches Ende der Geschichte von Makareus und Kanake durch eine Anagnorisis
herbeigeführt wurde (wie sie auch im Kökalos vorkam), durch die sich ergab, dass
Makareus und Kanake tatsächlich keine Geschwister waren. Allerdings ist in
Euripides’ Tragödie nicht das Geschwisterverhältnis selbst das Problem, das zum
Tod von Makareus und Kanake führt: Aiolos hat ja selbst eingewilligt, die Kinder
untereinander zu verheiraten, und wahrscheinlich ist er sogar bereit, Kanake zu be-
gnadigen (nur kommt er damit zu spät). Es könnte also auch ohne eine Anagnorisis
ein glückliches Ende leicht herbeigeführt werden. Die Anagnorisis wäre nur nötig,
wenn man ein auch von der athenischen Rechtslage her akzeptables Ende her-
beiführen wollte; aber ob das Aristophanes wirklich für erforderlich hielt, bleibt