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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 13. Juli 2002
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Höffe, Otfried: Vielfalt der Weltkulturen in der Einheit des Weltrechts
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0079
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90 | SITZUNGEN

Prinzip Gemeinwesen und (4) dem Prinzip Demokratie. Zusammen belaufen sie
sich auf eine menschenrechtsverpflichtete Demokratie. Erkennt man den in den
Prinzipien enthaltenen Universalitätsanspruch an — daß Willkür und Gewalt auf allen
Ebenen gebannt werden sollen —, so braucht es auf globaler Ebene (1) ein Recht, das
(2) analog zu den üblichen Menschenrechten Menschenrechte der Staaten und Kul-
turen enthält, (3) öffentliche Gewalten einrichtet und (4) die zuständigen inter-,
sogar transnationalen Organisationen demokratisch organisiert. Die Extrapolation
anerkannter Rechtsgrundsätze führt also zu einer demokratisch verfaßten Welt-
rechtsordnung, kurz: einer Weltdemokratie oder Weltrepublik.
4. Ethik plus Anthropologie
Für eine strenge Legitimation genügen, schon um den Sein-Sollensfehler zu ver-
meiden, Hermeneutik und Topik nicht. Einerseits muß man von einem normativen
Standpunkt ausgehen (,,Ethik“), beim Recht vom Standpunkt der politischen
Gerechtigkeit. Bei ihr plädiere ich für einen teilweisen Paradigmenwechsel: von der
Verteilungsgerechtigkeit zu einer aufWechselseitigkeit basierenden Tauschgerechtig-
keit.
Für einen interkulturellen Gegenstand des Tausches stellt sich andererseits die
Frage, ob es Grundinteressen gibt, die alle Menschen jedweder Kultur und Epoche
miteinander teilen, die daher transzendentale Interessen heißen und sich darüber
hinaus nur in und aus Wechselseitigkeit, also in einem transzendentalen Tausch, rea-
lisieren lassen. (Entsprechende Rechtsgrundsätze haben den Rang von Menschen-
rechten.)
Für die Antwort ist eine Minimalanthropologie zuständig, die jene Vor- und
Grundbedingungen bestimmt, die den Menschen als Menschen möglich machen
und deshalb „angeboren“, „unveräußerlich“ heißen.
An erster Stelle steht ein logisch höherstufiges Interesse: das Interesse an der
Voraussetzung für alle gewöhnlichen Interessen, das an Handlungsfähigkeit. Dieses
Interesse ist seinerseits an drei Bedingungen gebunden, sichtbar in den drei Grund-
bestimmungen, die aufjeden Menschen jeder Kultur zutreffen: Jeder ist (1) ein Leib-
und Lebewesen (zöon bzw. animal), das (2) sich durch Denk- und Sprachfähigkeit
auszeichnet (zöon logon echon bzw. animal rationale) und (3) einer Gemeinschaft (ani-
mal sociale) mit politischer Ordnung bedarf (zoon politikori). Dem entsprechen drei
Gruppen von Menschenrechten: Rechte des Leib- und Lebewesens, Rechte des
Denk- und Sprachwesens und Rechte des sozialen und politischen Wesens. Bei den
ersten zwei Gruppen findet der transzendentale Tausch auf zwei Arten statt. Eine
negative Wechselseitigkeit, der Tausch von Verzichten, führt zu negativen Freiheits-
rechten, während eine positive Wechselseitigkeit, der Tausch von Leistungen, positive
Freiheitsrechte bzw. Sozial- und Kulturrechte begründet. Eine Wechselseitigkeit
der politischen Autorisierung schließlich schlägt sich in den demokratischen Mit-
wirkungsrechten nieder.
 
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